Bedrich Smetana

Má vlast

Bamberger Symphoniker, Ltg. Jakub Hruša

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Tudor 7196
erschienen in: das Orchester 04/2017 , Seite 64

Einen schöneren Einstand auf CD hätte es nicht geben können. Jakub Hruša, der 35-jährige neue Chef der Bamberger Symphoniker, serviert mit Bedrich Smetanas Má vlast ein zentrales Werk der tschechischen Musik. Die sechs Tondichtungen sollten häufiger als Zyklus erklingen, so sein Plädoyer. Im umfangreichen Beiheft-Interview weist er außerdem auf einen Übersetzungsfehler hin: Eigentlich muss Má vlast mit Meine Heimat übersetzt werden, sagt er. Der alte deutsche Titel Mein Vaterland sei nicht ganz korrekt.
Auch das gehört zur genauen Lesart dieses noch jungen und ambitionierten Dirigenten aus dem mährischen Brünn. Schon heute wird bei den Bambergern von einer „neuen Ära“ gesprochen. Wer Hruša einmal live erlebt hat, ahnt auch wieso. Er ist ein ausgezeichnet aufgeräumt und klar dirigierender Mann am Pult. Er weist den Weg und die Musiker folgen ihm gerne. Zudem liebt er Details, setzt auf eine unaufgeregte Darstellung und hat die Balance eines großen Orchesters gut im Griff – was beileibe keine Selbstverständlichkeit ist.
Mit dieser Ruhe und Kraft widmet er sich auch den sechs Tondichtungen aus Má vlast, auch wenn seine Tempi keinesfalls durchgehend so „breit“ sind, wie im Booklet-Interview erwähnt wird. Die Schlusspassage von Šárka etwa ist ziemlich straff gespielt; die Liebesszene umso gebremster. Den erfahrenen Smetana-Hörer verblüfft auch das an vielen Stellen zurückgenommene Pathos. Selbst die sattesten fff-Passagen klingen bei dieser Aufnahme nie plakativ und nach nationalem Bekenntnis (das freilich auch hineinkomponiert ist).
Wie Hruša die beiden letzten, eher ungeliebten Hussiten-Stücke Tábor und Blaník in archaisch-poetische Klangbilder verwandelt, ist vorbildlich. Etwas erstaunen mag die kontrollierte Lebensfreude etwa der Polka in der berühmten Moldau. Hier tanzen nicht die Bauern auf einer Hochzeit, sondern es erklingt eine artifizielle Kunstmusik mit folkloristischen Wurzeln. Trotz weiter Dynamik (und warmer Aufnahmetechnik) umgeht Hruša allzu starke Akzent-Kontraste innerhalb der Themen, was die Melodien einheitlich strömen lässt. Vieles klingt nach tschechischer Klassik und weniger nach emotional aufgeladener Romantik. Die Bamberger spielen mit der ihnen eigenen Souveränität und mit formidablen Holzbläsern. Auch die sinnvoll phrasierenden Streicher verdienen ein Lob.
Mit dieser CD erwirbt man eine absolut zeitlose Aufnahme von Smetanas Meisterwerk. Es sei denn, man will die Natur in Aus Böhmens Hain und Flur noch mehr vibrieren hören oder die Dramatik in Šárka opernhafter serviert bekommen. Dann sollte man eine ältere Aufnahme der Tschechischen Philharmonie als Vergleich heranziehen. An orchestraler Plastizität haben im CD-Angebot sicher einige amerikanische Aufnahmen die Nase vorn, an Klangschönheit die Wiener Philharmoniker, das Concertgebouw-Orchester oder die Staatskapelle Dresden. In puncto Feinschattierung sind Hruša und die Bamberger dazu aber sicher eine moderne Alternative.
Matthias Corvin