Bedřich Smetana

Má Vlast

Bamberger Symphoniker, Ltg. Jakub Hrůša

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Accentus
erschienen in: das Orchester 04/2021 , Seite 68

Warum haben sich die Bamberger Symphoniker nur drei Jahre nach ihrer CD-Veröffentlichung von Smetanas Má Vlast unter Leitung Jakub Hrůšas dazu entschlossen, den gesamten Zyklus unter demselben Dirigenten auf Schallplatte einzuspielen? Was zunächst als bloßer Anachronismus im Digitalzeitalter erscheint, erschließt sich sofort, wenn man sich der Produktion widmet und mit ihrer überragenden Qualität konfrontiert wird.
Die Aufnahme fand unter Verwendung des sogenannten „Direct-to-Disc“-Verfahren statt, bei dem die Schallplatte selbst als Aufnahmemedium genutzt wird, der Schall also unmittelbar in die Tonspur eingeht, die in Echtzeit in eine Vinylscheibe geschnitten wird. Im Klartext heißt dies: Es gibt keinerlei Möglichkeit, im Nachhinein an einer digitalen Datei herumzubasteln, um sie einem Prozess der Postproduktion zu unterziehen, sondern es wird ganz unerbittlich das aufgezeichnet, was wirklich während der Aufnahme passiert.
Dass der Schnitt mit 45 statt den meist üblichen 33 1/3 Umdrehungen pro Minute durchgeführt wurde, hat zudem eine zusätzliche Qualitätssteigerung zur Folge, die sich direkt am Endergebnis ablesen lässt, das sowohl in puncto orchestraler Präzision als auch im Hinblick auf instrumentale Balance und Klangtiefe schlichtweg atemberaubend ist. Auch interpretatorisch ist die Aufnahme aus einem Guss: Hrůšas wichtigstes Anliegen ist es, die einzelnen Sinfonischen Dichtungen und deren oft rasch aufeinanderfolgende Episoden auf Klarheit und Genauigkeit hin zu musizieren, ohne das unvermeidliche Pathos der Musik zu unterdrücken. Melodische Linien werden daher immer plastisch modelliert, harmonische Fortschreitungen deutlich artikuliert und in Klangprozesse eingebettet.
Dabei packt einerseits die Feinheit, mit der sich Orchester und Dirigent immer wieder dem musikalischen Geschehen widmen (etwa im Einleitungsteil von Vyšehrad, in der Notturno-Episode der Moldau oder im filigranen Streicherbeginn des Fugato-Abschnitts in Aus Böhmens Hain und Flur), andererseits überzeugt aber auch der dramatische Impetus, mit dem (so zu Beginn von Šárka oder im Unisono der repetierten Akkorde von Tábor) Spannung aufgebaut und gehalten wird. Als besonders ansprechend erweist sich die durchweg elastische Behandlung der rhythmischen Verläufe, was oft genug mit luftigen, klangvollen (Holz-)Bläsersätzen verknüpft ist.
Mit anderen Worten: Hrůša verleitet das Orchester zu sinnlichen Klangerkundungen und überzeugt auch dort, wo Stimmungswechsel rasch aufeinanderfolgen, durch eine in die Tiefe gehende Lesart. Für Liebhaber diskofiler – und nicht ganz billiger – Raritäten ist diese Veröffentlichung ein Muss, denn hier wird, ergänzt um ein sorgfältig editiertes Begleitbuch, eine musikalische Präsenz des Klangs vermittelt und eine kollektive Leistung dokumentiert, die weit über das hinausgeht, was sonst, selbst in sogenannten Livemitschnitten, auf Tonträgern den Weg in die Öffentlichkeit findet.
Stefan Drees