Jan Freidlin

Lyrical Sonata

für Viola und Klavier

Rubrik:
Verlag/Label: Dohr, Köln
erschienen in: das Orchester 04/2024 , Seite 69

Jan Freidlin ist einer der fruchtbarsten Komponisten unserer Zeit. Er studierte in Odessa, leitete dort ein Jazzorchester und unterrichtete Komposition und Musiktheorie. 1990 emigrierte er nach Israel, wo er seitdem in Tel Aviv Komposition lehrt. Sein Schaffen umfasst viele Stücke für Soloinstrumente, Kammermusik und Orchester, aber er schrieb ebenso Musik für Film, Fernsehen und Theater. Bei uns in Deutschland ist er nur wenig bekannt. Umso verdienstvoller ist es, dass der Verlag Dohr zahlreiche Werke für Klavier, Klarinette, Oboe, Flöte, Posaune, Gitarre und Streichinstrumente zur Verfügung stellt. Freidlins Musik ist eher gemäßigt modern, arbeitet noch mit Motiven, Melodien und Begleitfiguren. Sie setzt moderne Spielweisen sparsam, aber dramaturgisch effektiv ein. Deshalb ist seine Musik für das Studium, den Unterricht, aber auch für den Konzertsaal eine sehr dankbare Literatur. Freidlins Musik erinnert an die von Hindemith und Genzmer, ist handwerklich gekonnt und setzt auf eine genuin musikalische Ästhetik.
Die Sonate für Viola und Klavier besteht aus zwei großen Sätzen sowie einem Interlude und einem Postlude. Der erste Satz ist ein lyrisches Andante, in dem das Klavier eine Begleitfigur in Achteln spielt und die Viola darüber ein gesangliches Thema vorträgt. Im weiteren Verlauf wird die Musik vielschichtiger und dichter, entfaltet ein polyfones Gewebe, das beiden Stimmen gleiches Gewicht gibt. Dazu steht der zweite Satz im größten Gegensatz: Er ist rhythmisch geprägt; Viola und Klavier stehen einander gegenüber und durchlaufen eine großflächige Steigerung. Dass Freidlin auch Jazz-Erfahrung hat, spiegelt sich in einigen Abschnitten wider, in denen die Instrumente improvisieren dürfen. So stehen hier große Strenge des Musizierens, die an Bach erinnert, und große Freiheit einander gegenüber. Die Musik klingt manchmal etwas herb, wenn beide Instrumente im hohen Tonbereich mit vielen Dissonanzen musizieren. Aber sie kann auch große Schönheit, Mystik und Zurückgenommenheit in der Stille ausdrücken.
Die Anforderungen an die Instrumentalist:innen sind hoch, aber zu bewältigen. Für den Viola-Spieler bedeutet dies, dass er in den hohen Lagen sicher sein und verschiedenste Bogentechniken beherrschen muss, für den Pianisten, dass er rhythmisch sicher das komplexe Stimmengeflecht seines Parts mit dem der Viola zu koordinieren hat. Damit die musikalisch gestalterische Dimension dieser Komposition zu Gehör gebracht werden kann, muss beiden Spielern die große dynamische Breite vom leisesten Pianissimo bis zum Fortissimo zur Verfügung stehen. Die sehr delikaten Rhythmen erfordern eine geradezu percussionartige Qualität des Zusammenspiels. Für das begrenzte Repertoire der Viola ist diese klar und übersichtlich gedruckte Ausgabe eine große Bereicherung.
Franzpeter Messmer