Christian Sprenger

Lutheran Symphonix

Orchestral Fantasies on Protestant Chorales. Orchestral Fantasies on Protestant Chorales, Kammerorchester der Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Weimar, Staatskapelle Weimar, Ltg. Christian Sprenger

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin GEN 16440
erschienen in: das Orchester 02/2017 , Seite 67

Um gleich zu Beginn das Positive der Produktion zu benennen: Die künstlerische Realisierung der CD bewegt sich auf einem sehr hohen Niveau. Gleichwohl muss ich bemerken, dass die CD für mich viele Fragen aufwirft. Wie positioniert Christian Sprenger seine Fantasien vor dem Hintergrund einer etablierten Tradition symphonischer Choralbearbeitung, denken wir etwa an Mendelssohns Symphonie Nr. 5? In seinem knapp gehaltenen Beitrag im Booklet ist Sprenger in seiner Sichtweise zunächst sehr traditionell. Sein Anliegen sei es, durch „ein zeitgemä­ßes, sinfonisches Gewand Aufmerksamkeit jenseits ihrer ursprünglichen liturgischen Funktion“ zu erzeugen. Worin dieses „Jenseitige“ der Funktion bestehen könnte, beantwortet Sprenger leider nicht. Ei­ne weitergehende Verortung finden wir im Beitrag von Anna-Barbara Schmidt, die Sprengers „neuen Weg“ als „volks­nah und verständlich im besten Sinne“ sieht. Für sie steht Sprengers Stil in einem erstrebenswerten Gegensatz zu der von ihr als artifiziell bezeichneten zeitgenössischen Kompositionspraxis. „Emotional“ und „filmisch“ sind für sie weitere, positiv besetzte, Charakterisierungen.
Hören wir uns vor diesem Hintergrund Sprengers Kompositionen an, so wirkt der angeblich so zeitgemäße Stil allerdings sehr rückwärtsgewandt. Eine Hauptinspiration erhielt Sprenger aus der Filmmusik der 1940er bis 1970er Jahre. Allerdings wirkt diese Assoziation nicht originär, sondern vielmehr aufgesetzt. Sprengers Stil ist sehr kleinförmig gehalten: Er arbeitet zumeist kurze, geschlossene Passagen ab, die er als „Cento“ aneinanderreiht und die ihre Vorbilder zumeist erkennen lassen. Übergreifende motivische Arbeit, Entwicklung und letztendlich auch Auflösung finden kaum statt. Insgesamt gelingt es dem Komponisten nicht, sich von seinen Vorbildern zu lösen. Zusätzlich verbaut Sprenger zahlreiche musikalische Motive mit Bezügen zur ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Unschwer lassen sich Inspirationen aus den programmatischen Werken von Paul Hindemith und der Symphonik von Richard Strauss erkennen. Auch das Hauptthema des abschließenden Hymnus ist ohne die Abrufbarkeit von Aaron Coplands Fanfare for the Common Man kaum denkbar. Häufig dominiert Lautstärke den Klangeindruck.
Letzendlich müssen wir uns die Frage stellen, welches Luther- und Reformationsbild Sprenger seinen Hörern vermitteln will bzw. welcher Film hier wirklich (ab)läuft. Nehmen wir seine musikalischen „Bilder“ ernst und schreiben uns das fehlende Drehbuch dazu, so lernen wir durch seine retro-„spektive“ Musik zwangsläufig auch ein überwunden geglaubtes, einschichtiges und heroisierendes Luther- und Reformations-Bild kennen. Luther war eine komplexe Person, die Reformation eine vielschichtige Bewegung. Beide verdienen es nicht, in akustischer populistischer Simplifizierung vereinnahmt zu werden. So sind gerade in der jetzigen Zeit ganz andere Ansätze gefragt als das Schaffen von selbst proklamierten „volksnahen und verständlichen“, von emotional übersteigerten musikalischen Epen.
Volker Schier

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