Werke von Francis Poulenc, Maurice Ravel, Claude Debussy und Camille Saint-Saëns

Lumière

Céline Moinet (Oboe, Englischhorn), Sophie Dervaux (Fagott), ­Florian Uhlig (Klavier)

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Berlin Classics
erschienen in: das Orchester 12/2022 , Seite 71

Die Oboe galt zwar niemals als leicht beherrschbares Blasinstrument. Umso mehr verführten ihre Toneigenschaften: ihr gediegenes Klangfarbenspektrum, ihre wechselvollen Ausdruckscharaktere, ihre Gesangsnähe, ihre dynamische Bandbreite. Herzstück ihres Tonreichs ist die mittlere Lage (von f’ bis h”). Hier klingt sie am süßesten, weder zu „schilfrohrartig“ noch zu dünn (wie manchmal im tieferen Bereich). Innerhalb des begrenzten Bereichs einer Oktave plus Quarte erreicht sie die weiteste dynamische Spannbreite vom füllig singenden Forte bis zum zartesten Pianissimo. In dieser Lage vertrauten ihr viele Komponist:innen seit Glucks Zeiten ihre dankbarsten Orchestersoli an (moderne Werke treiben die Oboe öfter in schneidende Höhen).
Die Oboe erreicht eine erstaunliche Beweglichkeit. Tonleitern und Arpeggio-Passagen sind rasch ausführbar, legato wie auch staccato. Doppel- und Tripelzunge sind gebräuchlich, Flatterzunge hingegen beherrschen nur wenige.
Während die Oboe im 19. Jahrhundert als Soloinstrument nur selten auftritt, findet sie im 20. Jahrhundert – wie auch zu Zeiten Telemanns und Mozarts – sowohl konzertant als auch kammermusikalisch Verwendung. Wahrhaft die Zunge lösten ihr (wie auch der Flöte) französische, vage der lichten Stilwelt des Impressionismus zuzurechnende Komponisten, als da sind Claude Debussy, Maurice Ravel, Francis Poulenc und auch Camille Saint-Saëns. Ihnen verdankt die französische Oboen-Virtuosin Céline Moinet das Repertoire ihres Albums, dem sie den treffenden ­Titel Lumière (Licht) mitgab.
Ihr Recital, zu dem sie ihre geistesverwandte Landsmännin, die betörende Fagottistin Sophie Dervaux, und den einfühlsamen Pianisten Florian Uhlig hinzuzog, eröffnet sie mit der bewegenden Sonate für Oboe und Klavier, die Francis Poulenc 1962 (ein Jahr vor seinem Tod) komponierte. Dem Andenken seines Freundes Sergej Prokofjew gewidmet, beginnt sie elegisch. Die abschließende Totenklage führt die Oboe in heikle Höhen und Tiefen, während das mittlere Scherzo Prokofjews gern geübtem Tonfall huldigt und Behändigkeit der Solistin fordert. Dagegen stammt das Trio für Klavier, Oboe und Fagott aus Poulencs Frühzeit (1926): eine Art Gründungsakte „holzgeblasener“ Kammermusik, die Oboe und Fagott gleiche Rechte einräumt wie vormals der Violine und dem Violoncello.
Ein Originalbeitrag zur Bläserkammermusik ist auch die ansprechende Oboensonate D-Dur op. 166 aus Saint-Saëns’ Todesjahr 1921. Der Rest des Programms zehrt von Zugewinnen, die sich aus Arrangements ergeben. Dazu zählen eine Bearbeitung von Ravels bekannter Klaviersuite Le tombeau de Couperin für Oboe und Klavier, von Debussys Saxofon-Rhapsodie (1901-08) für Englischhorn und Klavier sowie des dritten Satzes aus dessen frühem Klaviertrio G-Dur (1880) für Oboe, Fagott und Klavier, das lange als verschollen galt und erst 1986 veröffentlicht wurde. Leider gibt es Unstimmigkeiten im Beiheftkommentar.
Lutz Lesle