Meinrad Walter (Hg.)/Hans-Joachim Hinrichsen/Jakob Johannes Koch
Ludwig van Beethoven Missa Solemnis
Welch schöne Alliteration: „Wort/Werk/Wirkung“. Dahinter verbirgt sich eine neue Reihe zu geistlichen Chorwerken, herausgegeben von Carus in Zusammenarbeit mit der Deutschen Bibelgemeinschaft. Das Konzept sieht vor, inspirierende Wirkungen des von den Komponisten vertonten Bibeltextes zu untersuchen, aber auch die Folgeerscheinungen zu durchleuchten, welche die Werke in der Nachwelt ausgelöst haben. Als Startwerk wurde Ludwig van Beethovens universale Missa Solemnis ausgewählt – zu Recht, denn nach wie vor haftet dem Monumentalwerk das Image des Schwierigen an. Dabei hat Beethoven seine Missa – er selbst verwendete den Titel Solemnis nicht – als „das gröste Werk, welches ich bisher geschrieben“ eingestuft.
Neben einer bestechend klar verfassten Entstehungsgeschichte des Werks prägen das Buch zwei hervorragende Kapitel, die weit über das bislang zu dieser Messe Geschriebene hinausgehen. Da liest man zunächst einen brillanten „Hintergrundbericht“ über Beethovens Einstellung zu den Strömungen des Katholizismus zu seiner Zeit. Das Suchen und Finden des Komponisten in Textübersetzungen oder seine Gespräche mit dem Moralphilosophen Michael Sailer rechtfertigen dabei die Vermutung, dass Beethoven letztlich zu einem individuellen, multiplen und spirituellen Christen wurde. Und die Missa Solemnis ist in Wirklichkeit ein tönendes Zeugnis aller existenziellen Lebenserfahrungen des in Bonn geborenen Komponisten, der zwar einen liturgischen Traditionstext vertont, dennoch eine Messe von universaler Dimension schafft. Schon von daher sei der Konzertsaal ihr richtiger Platz.
Im zweiten zentralen Kapitel wird sodann die Rezeptionsgeschichte der Missa Solemnis anhand repräsentativer Urteile bedeutender Musiker und Musikologen dargestellt. Hier kommen Persönlichkeiten wie Anton Felix Schindler, Eduard Hanslick, Richard Wagner, Hugo Riemann, Wilhelm Furtwängler, Theodor W. Adorno oder Carl Dahlhaus zu Wort. Deren Stellungnahmen lesen sich wie ein spannender Roman, denn die Einschätzungen gehen von: „die merkwürdigste religiöse Compostion seit dem Messias von Händel“ über: „Sachen, die kein Sänger singen kann“ bis hin zu: „die Messe ist die Krönung des achtgliedrigen Symphonien-Monuments und damit zugleich der Stützpunkt für die Neunte“. Eine solcherart zusammengestellte Diversität von Expertenurteilen sagt mehr über Beethovens Monumentalmesse aus als jede noch so fundierte Werkanalyse.
Wem das noch immer nicht hilft beim Zugang zur „schwierigen“ Missa Solemnis, der sollte zur CD greifen, die dem Buch beigefügt ist, und sich ein eigenes Urteil bilden. Die Platte enthält eine Einspielung mit der Hofkapelle und dem Kammerchor Stuttgart sowie vier grandiosen Solisten. Sie legen unter der Leitung des genialen Frieder Bernius eine bislang im wahrsten Sinne „unerhörte“ Interpretation des gewaltigen Beethoven-Opus vor: ohne Pathos, durchsichtig, schlank. Carus hat mit dieser CD die Messlatte sehr hoch gelegt. Das macht Vorfreude auf weitere Bände der geplanten Reihe.
Thomas Krämer


