Ludwig van Beethoven
Missa Solemnis
Regina Hangler (Sopran), Elisabeth Kulman (Alt), Christian Elsner (Tenor), Franz-Josef Selig (Bass), MDR Rundfunkchor Leipzig, Rundfunk-Sinfonieorchester Berlin, Ltg. Marek Janowski
Letzten Werken und letzten Worten wohnt ja ein immerwährender Zauber inne, etwas immerwährend Gültiges umweht sie quasi. Nun ist Beethovens Missa solemnis zwar ein spätes, aber nicht sein letztes Werk, und Marek Janowski steht hoffentlich noch länger am Dirigentenpult aber nun eben nicht mehr als Chef des Berliner Rundfunk-Sinfonieorchesters. Er macht, um seine eigenen Worte zu gebrauchen, Platz für einen Jüngeren. Bevor er jedoch Vladimir Jurowski den Stab übergibt, zieht er Bilanz seiner Zeit in Berlin. Es hat etwas zu bedeuten, wenn Janowski seinen Abschied mit Beethovens großer Messe begeht: Abschiedswerke wählt man mit Bedacht, sie sagen etwas aus über den, der geht. Und Janowski hat eine Menge zu sagen.
Beethoven rang lange mit der Messe, mit ihrem theologischen und musikalischen Gehalt und den Traditionen des katholischen Messkanons. Gedacht war die Missa solemnis ursprünglich als Kompositions-Geschenk an den Gönner, Schüler und Mentor Erzherzog Rudolph zur Gestaltung des Pontifikalamts zur Amtseinführung als Erzbischof von Olmütz. Doch dazu sollte es nicht kommen: Beethovens Ringen um die Gestalt der Messe war zur Amtseinführung noch nicht beendet. Uraufgeführt wurde das Werk einige Jahre später in Sankt Petersburg.Von all dem Mühen um dieses Werk, ja von dessen Heimatlosigkeit Kirchenmusik als dienende Musik innerhalb der Liturgie oder doch Musica absoluta für den Konzertsaal? hat sich Janowski befreit. Beethovens Messe erklingt als Symphonie, sozusagen als Dur-Gegenklang zum d-Moll der 9. Symphonie. Schon mit den ersten Klängen steckt Janowski den Rahmen ab, unmissverständlich. Sein Beethoven schreitet zügig daher, recht zügig sogar und vor allem rhythmisch pointiert. Das Kyrie ist kein Ruf um Erbarmen, es wird zum Manifest des Symphonischen, schön anzuhören, wunderbar ausbalanciert zwischen einem geschmeidigen Orchester, dem MDR Rundfunkchor aus Leipzig und dem Solistenquartett. Grübeln, Suchen, Ringen weit gefehlt. Hier überwiegt der volle Wohlklang. Beethoven trägt Ausrufezeichen! Da werden dann auch mal die originalen dynamischen Vorschriften umgedeutet, das des dreifachen Forte im Bläsereinsatz des Gloria etwa: Es mutiert kurzerhand zum Crescendo/Decrescendo-Wechsel.
Penibel achtet der scheidende Chef auf den Vokalpart. Dort, wo die Sänger im Orchesterrausch zu versinken drohen, tritt er auf die dynamische Bremse, nimmt das Orchester zurück, schafft Raum fürs Stimmliche. Auf der anderen Seite fordert er durch zügige Tempowahl den Sängern so einiges ab. Doch weder bei den Solisten noch beim Chor sind da Schwächen zu hören.
Zu seinem Abschied aus Berlin schenkt uns Marek Janowski eine zutiefst persönliche Interpretation des Werks, mit Ecken und Kanten. Sicherlich kann man sich an den Kanten reiben, aber es bleibt eine Interpretation, die klar und unmissverständlich eine Botschaft hat. Ein Abschiedsgeschenk, das in Erinnerung bleibt. Danke.
Markus Roschinski