Brown, Clive

Louis Spohr

Eine kritische Biographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Merseburger, Kassel 2009
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 64

Er kam, musizierte und siegte. Mehr als ein halbes Jahrhundert hielt und mehrte sich sein Ruhm. Sein „künstlerisches Credo“ prägte Musik und Musiker mehrerer Generationen.
Auf über vierhundert Seiten, eng bedruckt, geht Clive Brown der Frage nach, wie Louis Spohr sich zu einer lebenden Legende entwickelte und warum die Nachwelt kaum mehr Notiz von ihm nimmt. Anlässlich seines 225. Todestages haben Autor und Übersetzer – selbst Spohr-Spezialist – das erstmals 1984 in Cambridge erschienene Buch aktuell überarbeitet, das erstaunlich umfangreiche Œuvre Spohrs in differenziertem Register zusammengestellt (leider ohne Diskografie) und zahlreiche hochinteressante Details akribisch recherchiert: über Spohrs Reisen, seine gesellschaftliche Anerkennung, sein überdurchschnittlich hohes Einkommen, unzählige Aufführungen vor allem in Deutschland und England, seinen „Künstlerstolz“, sein politisches Engagement. Kritisch werden Spohrs Lebenserinnerungen und dezidierte Urteile über Musik um historische Quellen ergänzt, wird nachvollzogen, wie überschwängliche Rezensionen zunehmend durch negative Äußerungen über Spohrs Neigung zu Wiederholungen, Manierismen und Modulationen abgelöst wurden.
Trotz aller Achtung vor der Kompetenz und dem Wert dieser Untersuchungen für die musikwissenschaftliche Forschung: Die unangemessen langen Inhaltsangaben der Opern wie auch die Werkanalysen, wenngleich sie der Darlegung der stilistischen Entwicklung dienen, beeinträchtigen den Lesefluss – insbesondere für Laien – erheblich, sind sie doch nur zum Teil auf den biografischen Kontext bezogen. Einer solchen mit viel Herzblut geschriebenen Lebensgeschichte wäre eine auch optisch ein wenig ansprechendere Gestaltung mit entsprechenden Bebilderungen – neben den zeitgenössischen Städteansichten – zu wünschen gewesen: Autograf, Selbstbildnis, Wohnhaus. Ärgerlich und unnötig: zahlreiche Fehler in Zeichensetzung, Grammatik, Rechtschreibung. Manch unglücklicher Ausdruck mag übersetzungsbedingt sein.
Was auf über vierhundert Seiten entsteht und bleibt, ist ein plastisches, präzises Bild des unermüdlich schaffenden Komponisten, dem man europaweit Talent, Können, Geschmack im Rang eines Mozart und Mendelssohn attestierte. Ein Bild des Geigers, der den Vergleich mit Paganini in virtuoser Hinsicht hielt, in musikalischer Hinsicht übertraf. Ein Bild des Lehrers, der die Entwicklung der deutschen Violinschule maßgeblich beeinflusst hat. Ein Bild des Dirigenten, der Provinzensembles zu Orchestern von überregionalem Rang geformt hat. Ein Bild des Menschen, eines liebenswerten, disziplinierten, schöngeistigen, idealistischen Familienvaters. Ein Bild der Legende, des letzten Vertreters einer ausklingenden Epoche, dessen Werke möglicherweise zu anspruchsvoll und zu wenig populär waren, um dauerhaften Bestand im Repertoire zu finden.
Carola Kessler