Claudio Monteverdi

L’Orfeo

Julian Prégardien, Gwendoline Blondeel, Marie Perbost, Eva Zaïcik, Cyril Auvity, Luc Bertin-Hugault, Luigi De Donato, Vlad Crossman, Paul Fibuier (Gesang), Les Épopées, Ltg. Stéphane Fuget

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Château de Versailles Spectacles
erschienen in: das Orchester 12/2024 , Seite 70

Kaum zu glauben, dass Claudio Monteverdis L’Orfeo nach seiner Uraufführung 1607 im Auftrag des mächtigen Herzogsgeschlechts der Gonzaga in Mantua drei Jahrhunderte lang vergessen war. Erst eine konzertante Wiederbelebung 1904 in Paris weckte die Erinnerung an die erste Oper im heutigen Sinne.
In unmittelbarer Nähe von Paris, im größten der Salles des Croisades von Schloss Versailles, hat Dirigent und Cembalist Stéphane Fuget mit seinem 2018 gegründeten Ensemble Les Épopees eine erfrischend lebendige, erstaunlich stilbewusste Neuaufnahme eingespielt – immerhin 56 Jahre nach Nikolaus Harnoncourts Aufnahme von 1968.
An Harnoncourt misst sich heute noch, was im Zuge des L’Orfeo-Hypes seit dessen legendärem Zürcher Monteverdi-Zyklus 1976 entstanden ist. Da schneidet Stéphane Fuget mit handverlesenen Solisten und seinem spontan musizierenden 30-köpfigen Ensemble aus erfahrenen Spezialisten und spielfreudigem Nachwuchs mit beeindruckender Präsenz ab.
Selbstverständliches in Frage zu stellen und den Einblick in musikalische Zusammenhänge zu vertiefen, ist das erklärte Ziel des Dirigenten. Monteverdis Opern, von denen er 2022 bereits Il ritorno die Ulisse in patria eingespielt hat, laden zu neugieriger schöpferischer Durchdringung geradezu ein. Schließlich hat Monteverdi nur die Stimmen, den Generalbass zum Teil, aber nicht genaue Angaben zur Instrumentation hinterlassen.
Von der akustisch leicht verschattet ausgesteuerten, überschäumenden Eingangs-Toccata bis zur furiosen, finalen Moresca hören wir eine lebendig pulsierende, farbenreich pointierte Favola in Musica über die zu Herzen gehende Macht affektgesättigter Musik und das jäh in Verzweiflung umschlagende Glück des thrakischen Sängers Orpheus. Julian Prégardien versteht sich als Orfeo mit subtiler Schattierung seines gereiften lyrischen Tenors auf magische Momente, den jauchzenden Überschwang und den Furor des um die Braut Beraubten, mit klar artikuliertem Parlar cantando, dem von Monteverdi gewünschten singenden Sprechen. Ihm ebenbürtig ist der strahlende Sopran der Belgierin Gwendoline Blondeel als Euridice und La Musica. Auch Marie Perbosts lyrischer Sopran als Ninfa und Proserpina, Eva Zaïciks Mezzo als Messagiera und Speranza, Tenor Cyril Auvity als Apollo, Bassbariton Luc Bertin-Hugault als Plutone und Bassist Luigi De Donato als Caronte fügen sich mit dem vorzüglichen Chor in eine gelungene Interpretation ein.
Bernd Aulich