Bolt, Rodney

Lorenzo da Ponte

Mozarts Librettist und sein Aufbruch in die Neue Welt

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bloomsbury, Berlin 2011
erschienen in: das Orchester 06/2012 , Seite 63

Abenteuerliche Lebensläufe werden gerne als Roman geschildert. Der Umstand hat seinen tieferen Grund sicher in den Personen selbst, die ihr ungewöhnliches Erdendasein gerne mit eigenen Worten erzählen, Memoiren schreiben oder so viele Anekdoten in Umlauf bringen, dass Biografen sie nur aufklauben müssen, um das prachtvollste Panorama eines Menschenlebens zu entfalten. Das weiß man von Casanova bis Peggy Guggenheim und ahnt es von vielen anderen.
Ein köstlicher Dichter in eigener Sache war der (fast nur als Mozart-Librettist bekannte) Lorenzo da Ponte. Seine Erinnerungen erschienen 1823 bis 1826 in New York, überarbeitet 1829/30. In Stuttgart und Paris wurden sie übersetzt. In Italien kamen sie (gekürzt) erst 1871 heraus. Hinzu kommen eine Unmenge von Briefen, und natürlich das umfangreiche und gelegentlich auch autobiografische Werk des Autors.
Die Schwierigkeit für den Biografen ist hier nicht die Frage, wo er etwas über die Person erfährt, sondern wie er die Masse von Eigeninformationen bewertet. Der südafrikanische Theaterregisseur und Sachbuchautor Rodney Bolt nähert sich da Ponte, indem er das, was er selbst berichtet, erst einmal ernst nimmt – auch wenn einiges zu fantastisch scheint. Etwa dass er und Mozart nur sechs (bzw. acht) Wochen Zeit für ihre Oper Le nozze di Figaro gehabt hätten. Bolt schildert die Umstände so (und er untermauert sie mit Belegen anderer Zeitzeugen und Musikforscher), dass man dieser Behauptung schließlich auch glauben mag und untermauert den Schluss: „Mozart und da Ponte schrieben nicht für die Nachwelt, sondern für ihr Überleben: um sich ein Honorar zu verdienen, einen Termin einzuhalten, eine Lücke im Spielplan des Burgtheaters zu füllen […] um den Erfolg zu erringen.“
Dazu braucht Bolt etwa doppelt so viele Seiten wie seine Vorgängerin Sheila Hodges, die sich 1985 demselben Gegenstand widmete (deutsch 2005). Erstaunlicherweise ist das Amerika-Kapitel nicht wesentlich umfangreicher geraten als bei Hodge. Doch Bolt erzählt es mit wesentlich mehr erzählerischem Schwung. Die „hastige Abreise“ aus London – man könnte auch von Flucht sprechen – und die Vorkommnisse der Wochen vor der Überfahrt hatten den Dichter in arge finanzielle Kalamitäten gebracht: ein gefundenes Fressen für romanhafte Ausschmückungen. Bolt widersteht den Verlockungen und hält sich an die umfangreichen Recherchen etwa von Arthur Livingston, der die erste amerikanische Ausgabe der Memorie ausführlich kommentiert hatte.
So ist das spannende Buch über ein abenteuerliches Leben kaum zu lesen ohne die Anmerkungen, auf die im fortlaufenden Text leider nicht verwiesen wird. Man muss sie also durch ahnungsvolles Blättern finden. Doch diese Fußnoten zu ignorieren, wäre ein Fehler.
Matthias Roth