Felix Mendelssohn Bartholdy

Lobgesang

Eine Symphonie-Kantate nach Worten der Heiligen Schrift MWV A 18 op. 52, Partitur/Klavierauszug

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 11/2020 , Seite 62

Von den fünf großen Sinfonien Mendelssohns ist die über einstündige „Lobgesang“-Sinfonie mit Solisten und Chor in ihrem großen letzten, kantatenartigen Teil, die für ein Leipziger Fest zur 400-Jahr-Feier der Erfindung der Buchdruckerkunst durch Gutenberg entstanden ist, nur gelegentlich im Konzertsaal zu erleben. Schon den Zeitgenossen im 19. Jahrhundert erschien das Werk als matter Nachfahre der Neunten von Beethoven und deshalb als ästhetisch problematisch.
Doch diese Einschätzung hat sich mittlerweile geändert. So heißt es denn auch im Vorwort der vorliegenden Neuausgabe von John Michael Cooper: „Inzwischen ist unbestritten, dass der Lobgesang selbst weder naiv noch banal ist, sondern – typisch für die Rezeptionsgeschichte Mendelssohns – durch Vorurteile und Unverständnis genährten Angriffen dümmlicher und billigster Art zum Opfer fiel. So ist also die Zeit reif für eine neue quellenkritische Edition.“
Das sind deutliche Worte, auf die der Herausgeber mit einer Art Werkmonografie im Vorwort antwortet, die weit über philologische Aspekte hinausgeht. So erzählt John Michael Cooper mit vielen Originalzitaten die Entstehungs- und Aufführungsgeschichte nach – und er bietet eine Analyse der musikalischen Gestalt und Textbehandlung.
Ausführlich dargelegt wird auch die Publikationsgeschichte, die sehr kompliziert ist, nicht zuletzt im Verhältnis von Partitur und Stimmen. Basis für den Notentext der vorliegenden Ausgabe ist dabei nicht die autografe Partitur, die eine Mischung von verschiedenen Versionen bringt, sondern die 1841 beim Verlag Breitkopf & Härtel erschienene Ausgabe, die Mendelssohn zuvor noch einmal durchgesehen hatte und aus der er viele Fehler eliminierte. Ein ausführlicher kritischer Bericht erläutert die Details.
Interessant ist, dass im Klavierauszug John Michael Cooper erstmals in neuerer Zeit für den ersten Teil, also die drei rein instrumentalen Sätze, eine autografe Fassung für Klavier solo von Mendelssohns Hand verwendet. Der Herausgeber setzt auch Mendelssohns Metronomangaben wieder ein, die seiner Auffassung nach wichtige Vorgaben für die Aufführung liefern – und er behält die unterschiedlichen Kurzschreibweisen bei Gruppen gleicher Noten bei, auch das liefert Ansatz-punkte für einen differenziert(er)en Vortrag. Zudem gibt es weitere Hinweise zur Aufführung, etwa zum nahtlosen Übergang zwischen No. 1 und 2, also zwischen „Sinfonia“ und Kantate.
Kurzum, die vorliegende Neuedition bietet eine breite Fülle von Ansätzen, sich neu und intensiver mit diesem zu Unrecht lange vernachlässigten Großwerk zwischen Sinfonie und Psalmvertonung (auch zur Gattungsfrage gibt der Herausgeber schlüssige Antworten) zu befassen. Es ist sehr zu wünschen, dass diese prächtige Ausgabe die weitere Beschäftigung mit dem eindrucksvollen Werk und viele zukünftige Aufführungen motiviert.
Karl Georg Berg