Werke von Suk, Dvorák, Janácek und anderen

Lived and dreamed

Ensemble Raro: Diana Ketler (Klavier), Alina Pogostkina (Violine), Razvan Popovici (Viola), Bernhard Naoki Hedenborg (Violoncello)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Solo Musica SM 222
erschienen in: das Orchester 06/2016 , Seite 73

Lived and dreamed, Erlebtes und Erträumtes, heißt diese neue CD des 2004 gegründeten Ensemble Raro. Es versammelt Werke der drei tschechischen Komponisten Josef Suk, Antonín Dvorák und Leoš Janácek. Der griffige Titel stammt von Suks Klavierzyklus op. 30 (1909), aus dem das düstere Stück Auf die vergessenen Gräber auf dem Kirchhof von Krecovice als Zugabe beigefügt ist. Das passt zum dunklen Cover mit der geheimnisvoll den Betrachter anblickenden nackten Psyche.
Ein Einführungstext der Münchner Autorin und Musikwissenschaftlerin Eva Gesine Baur zitiert außerdem Franz Kafka, Sigmund Freud und C. G. Jung, um das Traumverlorene oder auch Traumatische dieser Musik zu beleuchten. „Sind doch Traum und Melancholie als Geschwisterpaar in allen Künsten bekannt“, heißt es im Booklet. Das trifft sicher auch auf die zweite Zugabe dieser CD zu, Janáceks Pohádka (Märchen) für Cello und Klavier. Ein sehr poetischer, nachdenklich und komprimiert gestalteter Dreisätzer.
Bei so viel bedeutungsschwangerem Beiwerk sollte das Augenmerk auf das Wesentliche nicht verloren gehen. Das Ensemble Raro ist ein Klavierquartett, bestehend aus der Pianistin Diana Ketler, der später hinzugetre-
tenen Geigerin Alina Pogostkina, dem Bratschisten Razvan Popovici und dem Cellisten Bernhard Naoki Hedenborg. Daher stehen zwei Klavierquartette von Suk op. 1 und Dvorák op. 23 im Zentrum. Die beiden Komponisten hatten zueinander ein Schüler-Lehrer-Verhältnis und Suk heiratete 1898 sogar Dvoráks Tochter Otilie. Seine Abschlussarbeit am Prager Konservatorium ist ein formidables Werk und ein Beweis seiner Meisterschaft. Besonders leidenschaftlich steigt es ein, um dann einen weiträumigen und sehr atmosphärischen langsamen Satz auszubreiten.
Das Verdienst Diana Ketlers ist es, ihren Klavierpart reich abzuschattieren und innerlich zu durchleben. Das Zuviel oder Zuwenig einer Pianistin oder eines Pianisten in einem Klavierquartett ist ja ein heikles Thema. Ketler schafft es, viele Akzente zu setzen und dennoch die Balance mit ihren drei Mitspielern zu wahren. Geigerin Alina Pogostkina wechselt spannungsvoll zwischen kraftvollen und zarten Farbwerten, eher warm gestalten Cellist Bernhard Naoki Hedenborg und sein Bratschen-Partner Razvan Popovici ihre Parts.
Dvoráks erstes Klavierquartett wirkt gegenüber dem Pendant seines jüngeren Schülers Suk fast schon abgeklärt. Den Kopfsatz legt er rhapsodisch an, frei singend und strömend über eine ganze Viertelstunde. Doch auch dies treffen die vier Musiker, gestalten und steigern den mittleren Variationensatz konzentriert und klangvoll. Vielleicht fehlt bei so viel umsichtiger Kultiviertheit manchmal nur das Frei-drauflos-Musizieren, etwa im Scherzando-Finale. Insgesamt gefällt dieses Konzept-Album jedoch, besonders wegen der beiden wenig bekannten Werke von Josef Suk.
Matthias Corvin