Hilmes, Oliver
Liszt
Biographie eines Superstars
Wenn Oliver Hilmes seine literarische Annäherung an Franz Liszt als Biographie eines Superstars bezeichnet, so mag dies reißerisch klingen, charakterisiert aber entscheidende Momente des Lebenswegs des großen Pianisten, Komponisten und Pädagogen recht genau. Die Wirkung des reisenden Virtuosen Liszt auf sein Publikum muss durchaus vergleichbar mit der von heutigen Popstars gewesen sein, Ohnmachtsattacken weiblicher Fans inklusive. Ansonsten schildert der erfahrene Biograf Liszts ereignisreiches Leben zwar farbenreich, aber ohne den Blick allzu voyeuristisch-sensationslüstern zu schärfen. Hilmes beschreibt die problematische Jugend des Wunderknaben, der auch als Projektionsfläche für die Ambitionen seines frustrierten Vaters dienen musste, ebenso wie die frühen Jahre des aufsteigenden Virtuosen in Paris anschaulich, auch wenn das kulturelle Umfeld, in dem sich Liszt bewegte, etwas blass bleibt.
Die Vielschichtigkeit der Persönlichkeit Liszts, der wohl ebenso begabt, großzügig und hilfsbereit wie auch eitel, von religiöser Inbrunst und dem Hang zu (verheirateten) Frauen geprägt war, wird indes plastisch geschildert, die problematischen Beziehungen zu Marie Comtesse dAgoult und Prinzessin Carolyne von Sayn-Wittgenstein nehmen entsprechend auch der Bedeutung für Liszts menschliche und künstlerische Entwicklung breiten Raum ein. Die Wanderjahre des Virtuosen, der die Form des Soloklavierrecitals erfand, seine Weiterentwicklung der Klaviertechnik oder Liszts Bedeutung als Komponist von so epochalen Werken wie den Transzendentalen Etüden, der h-Moll-Sonate, aber auch sein innovatives Potenzial, was Harmonik oder kompositionstechnische Neuerungen bis hin zur Etablierung der Gattung der Sinfonischen Dichtungen angeht, werden angerissen, ohne immer die nötigen vertiefenden Erläuterungen zu finden.
Hilmes Zeichnung der Persönlichkeit Liszts kann deshalb insgesamt überzeugen, weil bei allem Interesse an dem Komponisten der Autor die nötige Distanz zu Liszt wahren kann, dessen Schwächen nicht verschweigt, ohne ihn aber durchaus verständlichem Spott auszusetzen. Die Religiosität, die ihn letztlich in Rom die niederen Weihen eines Abbés annehmen ließ, wird in ihrer Widersprüchlichkeit entsprechend beleuchtet.
Wie leicht Liszt, der als großzügiger Förderer seines späteren Schwiegersohns Richard Wagner Musikgeschichte schrieb, beeinflussbar war, wenn seiner Eitelkeit geschmeichelt wurde, zeichnet die Biografie augenzwinkernd am Beispiel der pädagogischen Tätigkeit von Liszt besonders in seinen späteren Jahren in Weimar nach.
Seine genauen Kenntnisse der Wagner-Dynastie nutzt Hilmes, der zuvor schon Cosima Wagner und ihre Kinder eindrücklich in Biografien porträtiert hatte, in dem Kapitel La Vie Trifurquée, das sich kritisch mit der Behandlung Liszts durch Cosima Wagner in Bayreuth bis zu seinem Tod auseinandersetzt. Die letzten Tage des Musikers in der Wagner-Stadt werden von Hilmes als Trauerspiel, ein bizarrer Totentanz, eine morbide Groteske, die auch heute noch bewegt und erschaudern lässt, geschildert. Oliver Hilmes ist im Liszt-Jahr eine ebenso farbenreiche wie profunde Annäherung an den großen Pianisten und Komponisten gelungen.
Walter Schneckenburger