Werke von Johann Sebastian Bach und Carl Philipp Emanuel Bach

Lisa Batiashvili

François Leleux (Oboe und Oboe d’amore), Emmanuel Pahud (Flöte), Sebastian Klinger (Violoncello), Peter Kofler (Cembalo), Kammerorchester des Symphonieorchesters des Bayerischen Rundfunks, Ltg. Radoslav Szulc

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Deutsche Grammophon 479 2479
erschienen in: das Orchester 01/2015 , Seite 74

Neuproduktionen älterer Instrumentalmusik auf modernen Instrumenten zeigen sich meist beeinflusst durch die Erfahrungen der historisierenden Aufführungspraxis. Dies trifft auch zu auf die vorliegende Einspielung von Konzert- und Kammermusik Bachs und seines zweitältesten Sohnes, die die Geigerin Lisa Batiashvili zusammen mit verschiedenen Inst­rumentalpartnern präsentiert. Das Doppelkonzert für Violine und Oboe BWV 1060 erscheint in einer transparenten Rekonstruktion in der mutmaßlich originalen Tonart c-Moll. Die folgende Sinfonia F-Dur gehört als Einleitung zu der Kantate BWV 156, wo der Solopart der Oboe zugewiesen ist. Allgemein bekannt ist dieser Satz als Largo in As-Dur zum Cembalokonzert f-Moll BWV 1056, und aus dieser Fassung wählt die Solistin fast alle melodischen Varianten. Die Zugehörigkeit der beiden letzten Sätze dieses Konzerts zu einem ursprünglichen Violinkonzert in g-Moll, das in Rekonstruktionen weite Verbreitung gefunden hat, wird zwar inzwischen angezweifelt, doch entspricht die höhere Lage der Solopartie – dort in B-Dur – der Violine besser als das dunkle F-Dur. Überdies kann der Satz mit seinem dominantischen Schluss, der auf einen Folgesatz in F-Dur oder f-Moll vorbereitet, nicht für sich allein bestehen. Dies gilt umso mehr, wenn im Programm das Violinkonzert E-Dur BWV 1042 folgt.
Auf höchstem Niveau zeigen sich die Interpreten. Sie spielen mit schlankem Ton, setzen das Vibrato sparsam ein, phrasieren und artikulieren klar und logisch, wählen zügige, aber niemals überzogene Tempi. Das fein abgestimmte Zusammenspiel der Solisten im Doppelkonzert findet seine Entsprechung in dem homogenen, alle Impulse und Nuancen aufgreifenden Kammerorchester. Phrasen bekommen ihren eigenen dynamischen Verlauf, ohne dass dabei schematisch verfahren wird. Batiashvili leistet sich einige Ausbrüche aus der Vibrato-Askese und kostet manchen Lagenwechsel genussvoll aus – aber das sollte nur Puristen stören. Im Violinkonzert bringt sie einige scheinbar spontane Varianten. Im letzten Satz wurden Phrasierungen verändert.
Das gewichtigste Werk der CD ist die Solosonate a-Moll BWV 1003. Die überragende technische Souveränität tritt hier neben der höchst eindrucksvollen Interpretation fast in den Hintergrund. Das einleitende Gra­ve erscheint als ausladende, quasi improvisierte freie Fantasie. Die anschlie­ßende Fuge, in ihren gewaltigen Dimensionen schwer zu erfassen, wird unaufdringlich, aber klar gegliedert und in ihrer Mehrstimmigkeit mit größter Sensibilität ausbalanciert, ebenso das folgende Andante. Das Tempoproblem des abschließenden Allegro wird dem vorgezeichneten Alla breve entsprechend durch eine halbtaktige metrische Gliederung gelöst. Die Triosonate h-Moll Wq 143, ein Werk des jugendlichen Carl Philipp Emanuel Bach kommt in Anspruch und Qualität diesen bemerkenswert nahe.
Den Schluss des Programms bildet die „Erbarme dich“-Arie aus der Matthäuspassion, wobei die Singstimme von der Oboe d’amore ausgeführt wird. Auch dies geschieht in höchster Perfektion. Die Frage nach dem Sinn einer solchen Übertragung sollte sich jeder Hörer selbst beantworten.
Der CD beigefügt ist ein mäßig informativer Begleittext.
Jürgen Hinz