Alexander Zemlinsky

Lieder von Nacht und Traum/ Kammerkonzert

Thomas E. Bauer (Bariton), Jewish Chamber Orchestra Munich, Ltg. Daniel Grossmann

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: Recordjet
erschienen in: das Orchester 05/2022 , Seite 70

Alexander Zemlinsky (1871–1942) hätte im Oktober letzten Jahres seinen 150. Geburtstag gefeiert. Er erlebte die großen Umbrüche im Europa des 19. Jahrhunderts, was sich auch in seiner Musiksprache niederschlägt. Nach seinem Tod im Exil in New York versinkt seine Musik kurzzeitig in einen Dornröschenschlaf, erst 1970 widmet sich das Musikleben seinen Werken wieder. Geprägt vom Übergang von Spätromantik zur Moderne sowie seinem Vorbild und Lehrer Johannes Brahms spiegeln die im Februar 2021 eingespielten Lieder von Nacht und Traum, gesetzt für Ensemble von Richard Dünser, diese Einflüsse wider.
Abwechslungsreich in ihren Stimmungen zwischen verspielter Zartheit im niedlich „Traum“ und verzweifelter Trostlosigkeit des aus dem Elternhaus ausgestoßenen „verlassenen Mädchens“ taucht Zemlinsky die romantischen Texte in musikalische Bilder, in denen man wie träumend versinkt. Ein wenig Mahler’sches ertönt, dann wieder Brahms, in op. 10 klingt bereits die Moderne. Der warme Bariton von Thomas E. Bauer findet stets den adäquaten stimmlichen Ausdruck, nie aufdringlich, aber klangschön und ausdrucksstark.
Mit dem Kammerkonzert nach Zemlinskys Trio op. 3 von 1896, hier ebenfalls von Dünser für Ensemble bearbeitet, gewann Zemlinsky den 3. Preis beim Kompositionswettbewerb der Künstlervereinigung in Wien. Unüberhörbar ist die Nähe zu Brahms’ Klarinettentrio op. 14. Beginnend mit einem schwermütigen, sehnsuchtsvollen Hauptmotiv in d-Moll, des Komponisten bevorzugte und persönlichste Tonart, schreitet die Musik unheilschwanger voran, was wie ein Bild der Zeit des nun stetig wachsenden Antisemitismus anmutet, dem auch der Komponist zumehmend ausgesetzt war. Hier hat Zemlinsky seine ganz eigene musikalische Tonsprache bereits gefunden. Ein Jahr zuvor hatte er Arnold Schönberg in Wien kennengelernt, der ihn kurze Zeit in Tonsatz unterrichtete.
Wenig Entwicklung hin zu einer Klimax, ein Aufbäumen und wieder Zusammenfallen und kurze lichtvolle Momente prägen das Werk – all dies erscheint wie die melancholische Bewältigung persönlicher Lebensthemen. Vielleicht hätte hier das ansonsten so hervorragend musizierende Jewish Chamber Orchestra Munich unter Leitung seines Gründers Daniel Grossmann die Dynamiken noch mehr ausreizen können, um größere Spannungsmomente zu kreieren.
Ein kurzer Presto-Anlauf, dann endet der erste Satz abrupt. Das Andante eröffnet eine elegische Cellomelodie, leidenschaftlich, suchend. Klarinette und Oboe nehmen das Motiv auf, um es miteinander fortzuspinnen und in lichtere Klangwelten zu tragen, die jedoch schon bald wieder in einen düsteren Tenor zurückfallen. Sehr naturnah ertönt zunächst der letzte Satz, heiter, versöhnlich, heller als die beiden vorausgehenden Sätze. Auch hier immer wieder Aufbäumen und Zusammenfallen, dann ein kurzer Galopp in versöhnlichem Dur, bevor das Konzert fast triumphal in drei letzten Akkordstrichen, wie ein dreifaches Ausrufezeichen, endet.
Kathrin Feldmann