Dimitri Terzakis
Lieder ohne Worte (1994/2019)
Fassung von Tatjana Masurenko für Viola solo
Der griechische Komponist Dimitri Terzakis schrieb seine Lieder ohne Worte zwischen 1994 und 1996 als Sammlung dreier Zyklen für Singstimme ohne Begleitung und ohne Text. Jedes einzelne Lied ist mit einem Titel versehen, teilweise ergänzt durch poetische Zitate, die freilich wenig mehr als die Richtung vorgeben, in die sich das Stück bewegt.
Es sind kurze Charakterstudien über existenzielle Situationen, oft in antikem Gewand, komponiert im für Terzakis typischen, archaisierenden Stil, der mithilfe von alten Tetrachord-Reihen eine eigenständige Sprache zwischen Diatonik und Enharmonik entwickelt hat, die sich den gängigen Schubladen von Tradition und Moderne nachhaltig entzieht. In ihrer Beschränkung auf eine einzelne, ausdrucksstarke melodische Linie von wenigen Minuten Dauer und dem normalen Tonumfang der menschlichen Stimme sind die Lieder ohne Worte denn auch so etwas wie die Essenz von Terzakis’ musikalischem Denken.
Obwohl sich diese reizvollen Miniaturen eigentlich problemlos auf quasi jedem Melodieinstrument spielen lassen, hat es doch über 20 Jahre gedauert, bis jetzt eine offiziell autorisierte Bearbeitung einiger Stücke für Viola solo bei der Edition Gravis erschienen ist. Tatsächlich sind die Lieder gerade in ihrer abstrakten „Sprachlichkeit“ so originär vokal gedacht, dass eine simple Übertragung auf ein Instrument dem kompositorischen Grundkonzept eigentlich entgegenläuft. Hat sich Terzakis vielleicht deshalb ausgerechnet auf eine Bearbeitung für Bratsche eingelassen, weil man ihr üblicherweise eine besondere Nähe zur menschlichen Stimme nachsagt? Im Vorwort der Ausgabe schreibt er jedenfalls, dass die „Idee der sich immerfort entwickelnden Melodik in der Fassung für Viola besonders gut zur Geltung“ komme. Nicht zuletzt dürfte aber wohl auch seine persönliche langjährige Zusammenarbeit mit Tatjana Masurenko, von der die Fassung stammt, eine Rolle gespielt haben.
Masurenko hat aus den insgesamt 18 Liedern sechs ausgewählt und in eine neue Reihenfolge gebracht: „Erster Liebestraum“ (Nr. 1) stammt aus dem ersten Zyklus, „Aus fernen Zeiten“(Nr. 2), „Ein Adler“ (Nr. 4) und „Kassandras Prophezeiung“ (Nr. 5) aus dem zweiten, „Ein Märchen“ (Nr. 3) und das abschließende „Tief im Abgrund, ein Vogel weint allein“ aus dem dritten. Dabei hat Masurenko nicht nur den ursprünglichen Notentext auf die Viola übertragen, sondern sich auch sichtlich um größtmögliche Intensität des Ausdrucks bemüht: Es gibt stellenweise Oktav-Verdopplungen und zusätzliche Bordunsaiten, vor allem aber sehr detaillierte Vortragsbezeichnungen inkl. Fingersätze, Bogenstriche, Glissando-, Vibrato- und Sul-Tasto-Passagen oder Saitenvorgaben.
Wer sich an die Einstudierung der (technisch überschaubaren) Stücke macht, darf aber wohl eben gerade nicht sklavisch am (fast schon überregulierten) Notentext kleben: Terzakis selbst fordert, die Gestaltung der „winzigen melodischen Nuancen und rasch wechselnden Charaktere“ müsse „unendlich frei“ sein.
Joachim Schwarz