Franz Schubert

Lieder

Benjamin Appl, Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Oscar Jockel

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: BR Klassik
erschienen in: das Orchester 04/2024 , Seite 74

Schubert-Lieder in opulenten Orchesterversionen? Benjamin Appl, Solist der vorliegenden Neuproduktion, setzt dieses Fragezeichen sogleich an den Beginn seiner Book-let-Anmerkungen, um indes anzufügen, für ihn persönlich stelle sich die Legitimitätsfrage nicht, er selbst staune vielmehr „über die grenzenlose Phantasie, verschiedene Klavierklänge in orchestrale Farben vieler Instrumente umzusetzen“. Auf dieser CD hören wir Arrangements unter anderem von Brahms, Reger, Webern, Britten,
Offenbach, Kurt Gillmann, Felix Mottl sowie des Liedbegleiters Alexander Schmalcz.
Zu den unterschiedlichen Motivationen der Genannten erfahren wir leider im eigentlichen Einführungstext nichts. Immerhin gibt Appl in seinem Entrée einige Hinweise: Brahms’ Bemühen galt der Verbreitung Schubert’scher Lieder zu einer Zeit, als diese noch nicht Teil des gängigen Repertoires waren. Weberns Arrangements entstanden als Teil seiner musikwissenschaftlichen Studien, zugleich schulte der spätere Liedmeister hier seine kompositorische Kunstfertigkeit. Reger schließlich griff eine Usance in den Konzertprogrammen seiner Zeit kritisch auf: „Für mein Ohr ist es oftmals direkt eine Beleidigung, in einem Riesensaal nach einer Orchesternummer eine Sängerin hören zu müssen, die zu einer spindeldürren Klavierbegleitung Lieder singt.“ Hauptantriebskraft scheint hier die spätromantische Sehnsucht nach Fülle gewesen zu sein.
Benjamin Appl – einer der letzten Fischer-Dieskau-Schüler, seit Jahren weltweit gefragt auf Opern- und Konzertbühnen – verfügt über schier grenzenlose Möglichkeiten, den Ausdrucksnuancen und der deklamatorischen Vielfalt Schubert’scher Vokallinien bis in die letzten Winkel zu folgen. Sein heller Bariton klingt ausgeglichen in allen Lagen, seinem Timbre zu lauschen bereitet ungetrübte Hörfreude. Begleitet wird Appl vom ausgezeichnet disponierten, schlank und vibratoarm agierenden, mustergültig phrasierenden Münchner Rundfunkorchester, geleitet von Oscar Jockel, einem vielseitigen, jungen Dirigenten, der auch als Komponist aktiv ist.
Und dennoch, kein rundum positives Fazit: Der Gesamt-Höreindruck ist bestimmt von Leichtigkeit und nochmals Leichtigkeit. Manche Lieder muten an wie Ausschnitte aus Oratorien, dargeboten von Interpreten, die sich der historischen Aufführungspraxis verpflichtet fühlen. Wesentliche Aspekte dieser Liedkunst – Schmerz, Leid, existenzielle Not, Dramatik, dann wieder Grabesruhe, nicht zuletzt der gewaltsame Impetus der „Erlkönig“-Vertonung – bleiben hingegen zu sehr auf der Strecke. Ein bisschen mehr „Reger“ hätte nicht geschadet!
Kein Zweifel indes: Hier wird auf exzellentem Niveau musiziert! Ergänzt wird die Einspielung durch Bearbeitungen einiger Schubert’scher Deutscher Tänze aus der Feder des „Unvollendeten“-Wiederentdeckers Johann Herbeck.
Gerhard Anders