Rohmert, Gisela / Martin Landzettel

Lichtenberger Dokumentationen

Erkenntnisse aus Theorie und Praxis der Physiologie des Singens, Sprechens und Instrumentalspiels, Band 1

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Lichtenberger, Lichtenberg 2015
erschienen in: das Orchester 03/2016 , Seite 66

Zwei bis drei Ausgaben pro Jahr der Lichtenberger Dokumentationen sind von den Autoren Gisela Rohmert und Martin Landzettel geplant. Band 1 beginnt sehr klar gegliedert mit den sechs Themengebieten „Kehlkopf“, „Klangmodelle“, „Wege zur Resonanz“, „Integration des Mittelohrs in das Ansatzrohr-Resonanzsystem“, „Die menschliche Stimme im Instrumentalklang“ und der „Klang im Kopf“. Jedes Thema bietet für sich schon Material für ein umfangreiches Buch, und es ist keine einfache Aufgabe, auf kleinem Raum diese vielfältigen Inhalte darzustellen. Dessen sind sich die Autoren auch bewusst, wenn sie im Vorwort schreiben, dass sich der Band einerseits Kardinalfragen widmet und andererseits durch deren dichte Aufeinanderfolge eine Herausforderung für die Leser darstellt. Dies betrifft sowohl den Umgang mit Abbildungen als auch mit Fachbegriffen aus der Musikpädagogik, Akustik oder Anatomie.
So werden zum Beispiel ähnlich zu Anatomiebüchern im Kapitel „Kehlkopf“ anatomische Zeichnungen verwendet, auf diese dann aber nicht weiter eingegangen. Stattdessen werden sofort inhaltliche Querverbindungen zu funktionellen Vorgängen wie Schlucken, zur Aufrichtung des Rumpfes oder zur Bedeutung des Klangs gezogen. Solche Gedankensprünge sind äußerst interessant und spiegeln das breit gefächerte Interesse der Lichtenberger Arbeit wider. Sie könnten jedoch die Leserschaft auch spalten in diejenigen, die sich von genau diesem mutigen Vorgehen inspirieren lassen, und in die anderen, für die es zur Frustration führt.
Ähnlich verhält es sich in den weiteren Kapiteln, die viel auf die musikalische Akustik Bezug nehmen. Hier wird von den Lesern ein gewisses Grundlagenwissen vorausgesetzt, um mit Formanten, Frequenzbereichen oder Klangspektren korrekt umgehen zu können. Das Glossar mit Fachbegriffen ist hier leider nur bedingt hilfreich, da es für vorgebildete Leser zu allgemein, für noch unwissende aber zu kurz gehalten ist. Ein umfangreicheres und vor allem aktuelleres Quellenverzeichnis und Verweise auf weiterführende Literatur wären hier sinnvoll.
Die einzelnen Kapitel sind in punkto Umfang und Aufbau recht unterschiedlich gehalten, aber in sich schlüssig. Die Sprache ist trotz der Komplexität des Inhalts durchgehend sehr anschaulich und gut verständlich. Die Autoren sparen allerdings nicht mit drastischen Ausdrücken wie „Resonanzkiller“ oder „Sabotage der Freiheit der Stimme“. In einer rein wissenschaftlichen Publikation undenkbar, soll es hier wohl die Leser zum Nachdenken provozieren.
Insgesamt zeichnet sich das Buch durch ungewöhnliche Blickwinkel aus. Für den einen mag manches etwas weit hergeholt sein, wie zum Beispiel, dass der Schluckreflex eine Blockade einer angemessenen Angstbewältigung und eines freien Stimmflusses sein soll. Jemand anderes hat genau auf diese neue Sichtweise gewartet. Die Publikation ist daher nicht leicht einzuordnen. Nicht klassisch wissenschaftlich, aber auch kein Werk für Anfänger oder Amateure. Auf jeden Fall regt das Buch zum Weiterdenken an.
Alexandra Türk-Espitalier