Kühn, Clemens

Lexikon Musiklehre

Ein Nachschlage-, Lese- und Arbeitsbuch

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Bärenreiter, Kassel 2016
erschienen in: das Orchester 12/2016 , Seite 57

Von einem Lexikon erwartet der Leser eine alphabetische Anordnung von Fachbegriffen mit klaren, erschöpfenden und unter verschiedenen Aspekten stichhaltigen Definitionen. Clemens Kühn bekennt sich jedoch einleitend zu einem induktiven Ansatz, der nicht einen gesetzten Begriff durch Fallbeispiele verifiziert und definiert, sondern den Fachbegriff als Hilfskategorie forschenden Lernens und Verdichtung analytischer Erkenntnisse versteht.
Aus diesem scheinbaren Gegensatz entsteht im Lexikon Musiklehre eine in Form und Inhalt interessante und anregende Mischung: So weit es die lexikalische Anordnung zulässt, erweitert der Autor seine Ausführungen mit lebendiger Musikanschauung, Anleihen aus der Sprache, weiterführenden Anregungen und eingestreuten subjektiven Texten an Stellen, an denen ei­ne bloße lexikalische Definition problematisch wäre. Wo immer es möglich ist, beschränkt sich der Kommentar zu Notenbeispielen nicht auf die nüchterne Definition des lexikalischen Begriffs, sondern versucht dem Lesenden die Einbettung in lebendige Musik nahezubringen. Auch das Register wird auf zwei Arten gestaltet: herkömmlich alphabetisch und nach Themenfeldern geordnet.
Der Autor stattet auf engstem Raum alle Definitionen mit Beispielen bzw. Hinweisen auf Kompositionen aus, in denen der beschriebene Sachverhalt musikalische Gestalt annimmt, und versucht dem Leser die Bedeutung des Begriffs in einem musikalischen Zusammenhang zu vermitteln. Obwohl dies in verständlicher Sprache und ohne den Anspruch musikwissenschaftlicher Systembildung geschieht, verlangt der Autor beim Leser doch ein beträchtliches Maß an Vorverständnis und schränkt den Adressatenkreis damit auf musiktheoretisch ausgebildete Leser ein. Diese allerdings werden das Buch nicht nur mit Wissensgewinn, sondern auch mit Vergnügen benutzen: Zahlreiche Definitionen sind mit Aufgaben und Anregungen zum eigenen Transfer auf andere Kompositionen ausgestattet.
Die Erweiterung des lexikalischen Prinzips wird besonders in den 16 selbstständigen Texten verwirklicht, die Kernthemen wie „Analyse“, „Das Individuelle“, „Klang und Linie“, „Modell“, „Verknüpfungen“ auf hohem Reflexionsniveau und in großer Dichte ausbreiten. Die Texte sollen zur Vertiefung von Begriffsfeldern dienen und zum „Weiterdenken“ anregen. Wegen dieser Texte und des eigentlich nichtlexikalischen Charakters lohnt es, das Buch ganz zu lesen, statt es als Ad-hoc-Nachschlagewerk in der Handbibliothek abzustellen.
Auch seine vermittelnde Position in der Auseinandersetzung zwischen Praxis und Theorie der Musik führt der Autor mit Humor und Engagement vor. Vorbild sind die Instrumentalschulen des 18. Jahrhunderts, die selbstverständlich ihre instrumentalpädagogischen Unterweisungen in die Darstellung der Musiklehre ihrer Zeit einbetten und so eine selbstverständliche Einheit zwischen Theorie und Praxis schaffen. Wer sich  für neue „Scheinwerfer“ auf schon oft beschriebene Sachgebiete interessiert, ist mit diesem Buch ausgezeichnet bedient.
Christoph Hempel