Gervink, Manuel /Matthias Bückle (Hg.)
Lexikon der Filmmusik
Personen Sachbegriffe zu Theorie und Praxis Genres
Vor allem im deutschen Sprachraum galten Filmkomponisten in
der Musikwissenschaft und unter den Musikschaffenden lange Zeit als “Schmuddelkinder”, sah man in ihnen doch allenfalls technisch versierte Handlanger der Regisseure. Ihre meist anachronistische Klangsprache und allzu leichtfertigen Ausflüge in die “Unterhaltungsmusik” ließen sie ihren “seriöseren” Kollegen zudem obsolet erscheinen. Inzwischen aber hat man erkannt, dass für einen guten Soundtrack ein enormes schöpferisches Potenzial erforderlich ist, und in der Folge haben sich seit den 1990er Jahren sogar die Konzertsäle jener bisher verschmähten Kunst geöffnet.
Das vorliegende Lexikon dokumentiert nun ebenso eindrücklich wie umfassend diese komplexe Erscheinung und erweist sich als ein wahres Kompendium zu dem gesamten Thema. In zahlreichen, oftmals seitenlangen Abhandlungen werden die verschiedenartigsten Aspekte ausführlich beleuchtet, wobei lediglich die wissenschaftliche Diktion für manchen Leser eine Hürde sein könnte. Eingegangen wird auf ästhetische Begriffe (beispielsweise Atonalität, Sounddesign, Tonmalerei), die musikalische Charakteristik von Filmgenres (darunter Horrorfilm, Melodrama, Roadmovie, Science Fiction, Stumm- oder Tanzfilm, Western) sowie verschiedene Stilarten (Expressionistischer Film, Sozialistischer Realismus), aber auch auf den filmtechnischen Fachjargon (Main titles, End credits), Institutionen (Filmmusikpreise, Verwertungsgesellschaften) oder rechtliche Fragen (Vermarktung, Verwertungsrecht). Zum Weiterschmökern wird man förmlich gedrängt, weil zahlreiche eingearbeitete Verweise zu anderen Referaten führen, wo zu einem zunächst nur gestreiften Detail weitere Erläuterungen zu finden sind.
Zwischen den alphabetisch angeordneten Sachartikeln befinden sich biografische Beiträge über die wichtigsten Filmkomponisten (jeweils mit Filmografie), bei deren Auswahl man natürlich immer Lücken finden wird alles in allem ist sie aber weitgehend überzeugend. Vielleicht hätte man mit Herbert Windt noch den wohl wichtigsten Filmkomponisten des Nazikinos berücksichtigen sollen, der immerhin Propagandastreifen wie Hitlerjunge Quex (1933) oder Leni Riefenstahls Parteitagsfilme (1934/35) sowie deren Olympia (1936) musikalisch ausgestattet hat.
Wirklich zu kritisieren ist aber jene nebulöse Geschichtsschreibung, wie sie sich in der ideologisch stark belasteten Musikwissenschaft nach 1945 eingebürgert hat: Arnold Schönberg “übersiedelte 1933 in die USA”, heißt es etwa in sträflicher Verharmlosung, und wenn andernorts doch von “Flucht” oder “Emigration” gesprochen wird, so fehlen bei jüdischen Musikern meistens Hinweise auf deren rassistische Verfolgung im “Dritten Reich”. Gleichwohl handelt es sich insgesamt um ein ungemein informatives Nachschlagewerk, das obendrein durch ein Personen- und Titelregister erschlossen wird und noch ein Verzeichnis von weiterführenden Internetadressen enthält.
Georg Günther