Rieger, Eva

Leuchtende Liebe, lachender Tod

Richard Wagners Bild der Frau im Spiegel seiner Musik

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Artemis & Winkler, Düsseldorf 2009
erschienen in: das Orchester 11/2009 , Seite 65

Die neue Veröffentlichung der Autorin führt zwei Schwerpunkte früherer Schriften zusammen: ein biografisches Interesse an Wagner (Minna und Richard Wagner, 2003) und das Bemühen, in Musik Abbilder von Weiblichkeit und Männlichkeit zu identifizieren (Alfred Hitchcock und die Musik, 1996). „Die Berücksichtigung von Biographischem ist gerade für das Verständnis des wagnerschen Œuvres unerlässlich. In der Forschung dominiert aber die ideengeschichtlich beeinflusste Musikwissenschaft, die sich vornehmlich auf eine abstrakte Geistes- und Wesensschau beschränkt und damit das Thema ‚Frau‘ elegant umschifft, zumal eine Betrachtung des Privatlebens schnell als Voyeurismus, als billiger Tratsch verpönt wird.“
In diesem Sinn werden die großen Wagner-Opern in zwölf Kapiteln behandelt und jeweils in Bezug auf die wechselnden Liebesverhältnisse interpretiert. So verarbeitet Wagner in Tristan und Isolde „sein unerfülltes Begehren und will zugleich die geliebte Mathilde [Wesendonck] zu der Einsicht bringen, dass die von ihm lang ersehnte sexuelle Vereinigung vorherbestimmt sei, wie die Liebe zwischen seinen Protagonisten“. In den Meistersingern „schimmert nicht nur die traditionelle Sicht auf die Frau durch, sondern darüber hinaus eine aggressive Haltung Wagners gegenüber der Geliebten (Mathilde), eine Enttäuschung über ihre Entscheidung, bei ihrem Ehemann zu bleiben“; die Komposition des Parsifal – nach einigen biografischen Turbulenzen – legt „die Vermutung nahe, dass der Komponist hier mit dem weiblichen Geschlecht abrechnen will“.
Die analytischen Passagen werden vorbereitet durch eine Art struktureller Übersetzungsanleitung im „Präludium“, und zwar im Hinblick auf Harmonik, Instrumentation, Rhythmik und Intervalle („Kleine Terzen erzeugen mit ihrer Molltendenz allgemein unbehagliche oder elegische Effekte, große Terzen mit der Ausrichtung auf Dur Wohlbehagen. Im Allgemeinen wirken große konsonante Tonschritte edel und großmütig, besonders wenn sie aufsteigen“ usw.). Die entsprechenden Beobachtungen an Wagners Musik sind einleuchtend: „Männer vertreten die Öffentlichkeit aus der Sicht der Herrschenden, was ein großartiges musikalisches Gepränge verursacht. Choralartige Klänge, Blechbläser, großes Orchester, häufig auch Diatonik und Dreiklangsbrechungen kennzeichnen ihre Welt“, während die Partien der weiblichen Figuren durch Streicher- und Holzbläserklänge, Chromatik, Alterationen und fallende Melodien charakterisiert sind – Widersprüche eingeschlossen, etwa bei den nicht rollenkonformen Partien des Erik im Holländer, des Siegmund und der Brünnhilde im Ring oder der Kundry im Parsifal.
Ein weiteres Interesse der Autorin gilt den intimen Beziehungen Wagners, Mutmaßungen über außerehelich gezeugte Kinder und den zahlreichen Passagen in seinem Werk, die Verführung, Sexualität, Orgasmen, Vergewaltigung, sexuelle Verweigerung u. Ä. darstellen, einschließlich einschlägiger Symbole („Es scheint fast, als würde Siegfried sich mit seinem Phallus unterhalten, der anschwillt und steif wird“). Wer an solcherart Auskünften zu Leben und Werk interessiert ist, wird an diesem Buch sicherlich Gefallen finden.
Freia Hoffmann