Hector Berlioz
Les Nuits d’Été
Sechs Lieder nach Gedichten von Théophile Gautier, Fassung für Mezzosopran und Bläserquintett für Mezzo- sopran und Klavier (1841), Partitur und Stimmen
Henk de Vlieger erhielt 2008 den Auftrag, den herrlichen, aus sechs Liedern bestehenden Liederkreis Les Nuit d’Été von Hector Berlioz für Bläserquintett zu arrangieren. Er führte die Arbeit aus – jedoch löste sich mit einem Mal alles auf und die Arbeit lag über Jahre brach. Der Arrangeur machte sich sogar die Mühe, je nach Charakter der Lieder die Farbpalette mit der Bassklarinette (Nr. 3), mit der Oboe d’amore (Nr. 2) und dem Englischhorn (Nr. 3, 4, 5) zu erweitern. Erst 2014 konnte de Vlieger mit der Aufführung zweier Lieder Hoffnung schöpfen, zwei Jahre später im März fand dann endlich die „erfolgreiche Uraufführung des gesamten Zyklus“ statt und nun liegt auch die Ausgabe
in vorbildlicher Ausstattung vor.
Zwar fragt sich der Arrangeur und Herausgeber in seinem viersprachigen, sehr knapp gehaltenen Vorwort, warum Berlioz diese Lieder nicht selbst für dieses Ensemble arrangiert hat, geht der Frage jedoch leider nicht ernsthaft nach. Die Frage ist zunächst durchaus berechtigt, wenn auch Berlioz die 1832 vertonten Lieder 1843 (Nr. 3) und 1856 in seiner unverkennbaren Art orchestrierte.
Von einigen zaghaften Versuchen, die Gattung des Streichquintetts auf Bläser zu übertragen, gab es, abgesehen von einzelnen Bläserserenaden, ‑divertimenti sowie Harmoniemusiken, diese Besetzung nicht. Erst in den 1820er Jahren verhalf der in Prag geborene Anton Reicha dem Bläserquintett zu einiger Popularität. Sein Ziel war, die Bläsermusik auf die Stufe der Streichermusik zu stellen. Zeitgenössische Rezensenten schwärmten gar von Reichas Bläserquintetten: „Sie sind unstreitig das Vollendeste… Wenn es möglich wäre, Haydn in der Quartetten- und Quintettencomposition zu übertreffen, so wäre dies von Reicha geschehen.“ Deswegen gilt er als „Vater des Bläserquintetts“.
Nun war er zugleich Kontrapunktlehrer am Pariser Conservatoire, wo er unter anderem ausgerechnet auch Hector Berlioz unterrichtete und wo seine „neue Musik“ von seinem Schüler begeistert aufgenommen wurde. Berlioz erinnerte sich in seiner Autobiografie noch 40 Jahre später an seinen Lehrer, zweifelte aber, ob diese Gattung tatsächlich so modern wäre: „Reicha kannte wohl die Eigenart der meisten Blasinstrumente, aber ich bezweifle, dass er über ihre Verteilungsmöglichkeiten… sehr fortschrittliche Gedanken gehabt hat. Seine Quintette für Blasinstrumente erfreuen sich mehrere Jahre hindurch in Paris einer gewissen Beliebtheit.“ Es seien etwas kühle Kompositionen.
Dass Berlioz aber ein Bläserquintett mit einer Singstimme besetzt hätte, ist unwahrscheinlich, da schon allein ästhetische Empfindungen dagegen gesprochen haben. Man denke nur an den Skandal, den Arnold Schönberg auslöste – immerhin 1908 –, als er sein zweites Streichquartett op. 10 mit einer Singstimme besetzte. Trotzdem liegen hier sehr farbig vertonte Lieder in Druck vor, die hoffentlich viele in ihr Repertoire aufnehmen.
Werner Bodendorff