Jacques Offenbach

Les Contes d’Hoffmann

Philharmonisches Staatsorchester Hamburg, Chor der Hamburgischen Staatsoper, Ltg. Kent Nagano

Rubrik: CDs
Verlag/Label: EuroArts
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 73

Vor fast 30 Jahren landete Kent Nagano an der Opéra National de Lyon mit Jacques Offenbachs unvollendeter Oper Les Contes d’Hoffmann einen gefeierten Coup, damals mit Roberto Alagna in der Titelrolle. Auch an der Hamburgischen Staatsoper sang sich im September 2021 ein Tenor auf den unaufhaltsamen Weg in den Karriereolymp. Ebenso wie Alagna muss man Benjamin Bernheim eine souveräne Leistung in dieser Paradepartie bestätigen. Eine graue Erscheinung ist Bernheims Hoffmann und ein eher schütterer als charismatischer Visionär, dem nicht einmal nach vielen Bühnenbieren der Teufel in den Leib fährt. Dennoch: Ein betörend „leinenfarbenes“ Timbre hat er. Dass in dieser Aufzeichnung daraus kein musikdramatischer „Brokat“ wird, liegt nicht an ihm.
Hugo Gargiulos revueartige Ausstattung und die stilisierten Kostüme um das Jahr 1900 von Giovanna Buzzi bedienen alle strukturellen Elemente der Inszenierung. Schön, aber mit noch zu erweiterndem Ausdrucksspektrum singt Olga Peretyatko die Projektionsfiguren der Puppe Olympia, der Sängerin Antonia und die von einem Riesendiamanten hypnotisierte Giulietta. Am besten gerät ihr am Schluss die glatte Primadonna Stella. Lutters Weinstuben am Berliner Gendarmenmarkt sind der Laufsteg für Hoffmanns Fantasien. Auffallend locker und elegant geraten die Studentenszenen, auch durch den Chor (Leitung: Eberhard Friedrich). Die Licht-Inspirationen des Regisseurs Daniele Finzi Pasca bringen allerdings kaum Spannung in Schlüsselmomente wie die ekstatische Sterbeszene Antonias mit der toten Mutter (Kristina Stanek).
Das Ensemble – allen voran Gideon Poppe in den vier Dienerpartien sowie Martin Summer als Maître Luther und Crespel – zeigt subtile Diktion und musikalische Sorgfalt. Doch bleibt es den Fratzen hinter dem Glitzern und der Schönheit von Offenbachs Musik leider recht fern. Unanfechtbares Können kultiviert das Philharmonische Staatsorchester Hamburg hier wie in der beachtlichen Corona-Fassung von Massenets Manon in der Spielzeit 20/21. Bei Hoffmann hat Kent Nagano die Begeisterung für das Hintergründige, Abenteuerliche und Extreme in Offenbachs einzigartigem Opus weitgehend verloren. Auch deshalb bleibt Luca Pisaroni in den vier Gegenspieler-Partien zu beiläufig. Angela Brower als Muse und deren männliche Travestie Nicklausse hingegen bereitet Nagano die Vorlage zu ihrer großartigen Gesamtleistung mit der zu den Sternen aufschießenden Violin-Romanze. Von Browers Glanz profitiert sogar Bernheims packend schattenhafter Hoffmann. Roland Dippel