Erich Broy
Leopold Mozart – Komponieren in einer Zeit stilistischen Wandels
Beiträge zur Leopold-Mozart- Forschung, Bd. 6, mit Notenband
Genies werfen große Schatten in ihre Zeit. Haydn, Mozart, Beethoven – viel mehr Wiener Klassiker sind dem Konzertpublikum selten bekannt. Deren Zeitgenossen bleiben allenfalls als Randphänomene im Gedächtnis. Ein Salieri zählt dazu, und auch ein Leopold Mozart. Am 14. November vor 300 Jahren geboren, ist Letzterer derzeit wieder etwas in den Fokus gerückt mit Publikationen und CD-Einspielungen.
Erich Broy bereichert das Jubiläumsjahr mit einer detaillierten Studie zu Leopold Mozarts Komponieren in einer Zeit stilistischen Wandels. Er stützt dabei die These, die schon Wolfgang Budday 2016 in seiner Untersuchung des Frühwerks von Wolfgang Amadé Mozart vertrat, dass Vater Leopold sich im Unterricht seines Sohnes vor allem auf die Veröffentlichungen der musiktheoretischen Schriften Joseph Riepels bezog, die er nachweislich besaß.
Broy nun unterzieht Riepels Publikationen von 1752, 1755, 1757 und 1765 mit Bezug auf Leopolds eigene Kompositionen und die frühesten Werke seines Sohnes Wolfgang Amadé einer genauen Untersuchung. Er erörtert Satzmodelle und Harmoniemodelle nach diesen für seine Zeit bedeutenden theoretischen Grundlagen und kommt bei näherer Betrachtung der für Leopold Mozart typischen stilistischen Eigenheiten nicht um mehrere Exkurse herum.
Die an vielen Details exemplifizierten Untersuchungen kommen zu dem Ergebnis: „Er [Leopold Mozart] steht damit fest in der Tradition des 18. Jahrhunderts“, was die zu Beginn bereits geäußerte Vermutung „Leopold Mozarts Musik ist Generalbassmusik“ untermauert. Zweitens: „Der Beitrag Leopold Mozarts für die Entwicklung des Sinfoniesatzes ist nicht hoch genug einzuschätzen, da er, wie aus seinen späteren Sinfonien eindeutig zu erkennen ist, den bis etwa 1764 erarbeiteten Formen- und Formelschatz an seinen Sohn weitergab.“
Zuletzt fasst Erich Broy die „zeitlich-stilistische Entwicklung der Sinfonien“ im Schaffen Leopold Mozarts in mehrere Stilgruppen zusammen: in Werke vor Erscheinen der frühen Sonate sei (1740) und den Zeitraum rund um diese Erstpublikation; in die Jahre um 1753 bis 1755 (der Entstehungszeit seiner Violinschule); und schließlich in das Jahr 1764, der letzten Schaffensphase des Komponisten Leopold Mozart, der sich danach fast ausschließlich der Entwicklung seiner Kinder widmete.
Broy arbeitet die stilistische Veränderung in Leopold Mozarts Schaffen gewissenhaft heraus, er muss aber doch die Antwort auf die Frage schuldig bleiben: Was hat den Komponisten definitiv dazu bewegt? Waren es wirklich nur die Schriften Riepels, oder nicht genauso etwa die Violinschulen Geminianis (1751) oder Tartinis (1754), ja die Musik der Italiener überhaupt? Stilwandel ist eine Ereignis, das sich aus vielen Einflüssen nährt. Es allein auf die Beschäftigung mit theoretischen Schriften zu beschränken, greift da sicher zu kurz.
Matthias Roth