Roland Dippel
Leipzig: Wenig Märchen, keine Poesie
Albert Lortzings Undine ohne Romantik an der Oper Leipzig
Mit Regionalbezug präsentierte Tobias Wolff die romantische Zauberoper Undine von Albert Lortzing, der am Leipziger Stadttheater als Kapellmeister seine glücklichsten Berufsjahre erleben durfte, als Eröffnung seiner Intendanz am Augustusplatz. Lortzings in Leipzig uraufgeführte Opern Zar und Zimmermann und Der Wildschütz zählten bis in die 1970er Jahre zu den deutschsprachigen Repertoiresäulen. Diesen Erfolgsstatus konnte Lortzings „Mittelgut“ in Zeiten von Schwierigkeiten internationaler Ensembles mit gesprochenen Dialogen sowie des Booms von Barock und Belcanto nicht halten.
Es war ernüchternd, dass die Inszenierung von Tilmann Köhler, die wenig aussagekräftige Treppe von Karoly Risz, die beliebigen Kostüme von Susanne Uhl und das die Welten der Wassergeister und Menschen nicht differenzierende Licht von Michael Röger den hochromantischen Dimensionen der 1845 in Magdeburg uraufgeführten Undine nicht gerecht wurden. Nicht einmal Lortzings Wunschkonzert-Evergreens milderten die Regie- und Dramaturgie-Misere: Die Zeiten sind vorbei, zu denen beim Ritornell von Veits Lied „Vater, Mutter, Schwestern, Brüder“ – hier solide gesungen von Dan Karlström – Seufzer durch das Publikum wanderten und Undines Rückkehr ins Wasserreich nach dem Bruch mit Ritter Hugo von Ringstetten, der ihr eine Seele gab, feuchte Augen machte. „Oh kehr zurück…“, tröstete daraufhin Mathias Hausmann als Wasserfürst Kühleborn.
Erhalten blieben alle Strophen seiner Romanze und sogar das Duett mit Undine. Hausmann, zudem Kathrin Göring (Marthe), Sejong Chang (Tobias), Sebastian Pilgrim (Pater Heilmann) und Peter Dolinšek (Kellermeister Hans) waren Lichtblicke der Produktion. Zu deren größtem Verdienst und rühmlichem Lortzing-Plädoyer geriet die Rücknahme von Streichungen, welche sogar auf der legendären Aufnahme mit Anneliese Rothenberger mit dem Münchner Rundfunkorchester vor fast 50 Jahren gemacht wurden.
Die Leistung des Gewandhausorchesters war erstklassig. Musikdirektor Christoph Gedschold zauberte an Lortzings ambitioniertester Partitur. Alles hatte bestens angemessene Mendelssohn-Farben und eine Klangpoesie, die Undines großer Arie ebenbürtig ist. So schimmernd wie das himmelblaue Kleidwunder, das Undine trägt, klingt Olga Jelinkovás Sopran, solange es nicht an die für Leipziger Raumdimensionen erforderlichen großen Töne geht.
Etwas anders schaut es bei den übrigen Stimmen aus: Joseph Dennis als Ritter Hugo hielt nicht bis zum Endspurt der großen Albtraum-Arie durch. Bertalda ist Lortzings einzige Assoluta-Partie nach französisch-italienischem Paradezuschnitt. Hier kämpft Publikumsliebling Olena Tokar tapfer gegen die akuten Wechsel zwischen Schubert-Linien und Donizetti-Bravour. Die symbolischen Schreie, die Ingeborg Bachmann in ihrer Klageprosa Undine geht (1961) über die Trennung von geliebten Männern beschreibt, hörte man an diesem trotz kurzweiliger Partitur zu langen Opernabend leider nicht. Dabei reißt Lortzings Partitur zwischen Versöhnungsklängen aus dem Geisterreich und Robert-le-diable-Zitat alle um 1840 verfügbaren Musiktheater-Dimensionen auf.