Immer, Friedemann

Lehrbeauftragte an deutschen Musikhochschulen

Eine Umfrage erbrachte erste Fakten zur Situation der freien Dozenten

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 10/2012 , Seite 37

In der ersten Jahreshälfte 2012 wurde an die Vertretungen der Lehrbeauftragten aller in der Rektorenkonferenz der Musikhochschulen (RKM) vertretenen Hochschulen ein Fragebogen verschickt, in dem um Auskünfte zur Situation der freien Lehrbeauftragten gebeten wurde. Bis auf Weimar haben alle Musikhochschulen geantwortet. Beim Treffen der Rektorenkonferenz Anfang Juni dieses Jahres waren Karola Theill und der Autor dieses Beitrags als Sprecher der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen eingeladen, um die Ergebnisse der Umfrage zu präsentierten. Neben viel Zustimmung und Dank für unsere Arbeit gab es auch einige Kritik, die sich vor allem darauf bezog, dass die Umfrage wissenschaftlichen Standards nicht genüge und auch nicht professionell durchgeführt worden sei. Dies war jedoch auch nicht unsere Absicht, schon allein deswegen, weil wir keine Profis für statistische Erhebungen sind. Vielmehr ging es um eine Augenblicksaufnahme, aus der sich die Situation der freien Lehrbeauftragten an deutschen Musikhochschulen und aktuelle Tendenzen dort herausdestillieren lassen.
Parallel zum Fragebogen für die Lehrbeauftragten wurde auch einer für die Rektoren und Kanzler erstellt und verschickt. Abgefragt wurden dort Zahlen wie z.B. die Gesamtzahl der beschäftigten Lehrbeauftragten und der von ihnen geleistete Unterrichtsanteil in Prozent. Leider sind bis heute noch immer nicht alle Fragebögen ausgefüllt zurückgeschickt worden, sodass wir die entsprechenden Zahlen nur schätzen können. Gleichwohl lässt sich schon jetzt feststellen, dass der Anteil der Lehrbeauftragten am Unterricht (gemessen in Unterrichtsstunden) zwischen 40 und 50 Prozent bundesweit beträgt.
Wir wissen, dass es an den in der RKM vertretenen Musikhochschulen insgesamt 4827 Lehrbeauftragte gibt, genauer gesagt 4827 Lehraufträge, da einige Kollegen an mehreren Hochschulen unterrichten. 1456 Lehrbeauftragte haben an der Befragung teilgenommen, also etwa ein Drittel aller in Frage kommenden Personen. Auch diese Zahl wurde auf der RKM als zu gering und damit zu wenig aussagekräftig bewertet. Wir sind jedoch der Meinung, dass sich auch auf der Basis dieser Zahlen ein durchaus prägnantes Bild der Situation der Lehrbeauftragten zeigt.
Die genaueren Ergebnisse der Umfrage, die ich im Folgenden darstellen möchte, bedürfen in manchen Punkten der Erläuterung. Allgemein ist noch vorauszuschicken, dass die Summe der Antworten nicht immer der Anzahl der Teilnehmer entspricht. Das liegt zum einen daran, dass manche Teilnehmer auf einzelne Fragen gar nicht oder aber doppelt geantwortet haben und ich zum anderen auf die Auswertungen einzelner Hochschulen angewiesen war, ohne diese verifizieren zu können.

Ergebnisse
1. Die Gesamtzahl der Lehrbeauftragten/Lehraufträge beträgt zurzeit 4827. Diese Zahl schwankt naturgemäß andauernd, weshalb sie nur eine Momentaufnahme sein kann.
2. Die Zahl der abgegebenen Fragebögen betrug 1456, wobei Weimar nicht berücksichtigt werden konnte, da keine Ergebnisse vorgelegt wurden.
3. Die Dauer der Tätigkeit der Lehrbeauftragten an den Hochschulen stellt sich folgendermaßen dar:
1    –    4    Semester:    10,8 %
5    –    10    Semester:    21,0 %
11    –    20    Semester:    23,6 %
11    –    15    Jahre:    20,5 %
16    –    20    Jahre:    10,2 %
21    –    30    Jahre:    10,1 %
über 30    Jahre:    3,7 %
Diese Zahlen zeigen, dass fast 45 Prozent aller Lehrbeauftragten seit zehn oder mehr Jahren an den Hochschulen unterrichten und fast 15 Prozent sogar mehr als 20 Jahre!
4. 32,5 Prozent der Lehrbeauftragten unterrichten an mehr als einer Hochschule im Lehrauftrag (LA).
5. Nur 7,4 Prozent der Lehrbeauftragten unterrichten neben dem Lehrauftrag an einer Hochschule auch an einer anderen Hochschule als Professor mit Vertrag.
6. Eine feste Anstellung im Orchester oder am Theater haben nur 13,4 Prozent der Lehrbeauftragten. Dieses ist besonders interessant, weil wir sehr oft das Argument hören, die Lehrbeauftragten seien in großer Anzahl Orchestermusiker, Sänger aus Rundfunkchören oder am Theater – was offensichtlich nicht stimmt!
7. 61 Prozent der Befragten geben an, neben dem Lehrauftrag ein anderes Arbeitsverhältnis mit Vertrag bei Kirche, Musikschule oder Schule zu haben. Siehe hierzu besonders die Erläuterung zu Punkt 10 und 11!
8. Nur 4,1 Prozent sind pensionierte Professoren. Es kann sein, dass die Gruppe der pensionierten Professoren im Lehrauftrag sich mehrheitlich nicht an der Umfrage beteiligt hat. Diese Frage stellt sich natürlich bei vielen Antworten. Wir sind trotzdem der Meinung, dass diese Umfrage, auch wenn manche Ergebnisse um einige Prozentpunkte abweichen sollten, ein insgesamt realistisches Bild ergibt und verlässlich Tendenzen aufzeigt.
9. Interesse an einer festen Stelle (in Voll- oder Teilzeit) haben 79 Prozent der Befragten.
10. 63,1 Prozent sehen den Lehrauftrag als wesentlichen Teil ihres Einkommens (s. auch 11.)
11. Für 58,9 Prozent der befragten Lehrbeauftragten stellt die Bezahlung des Lehrauftrags einen existenziell wichtigen Anteil ihres Gesamteinkommens dar – und das trotz der bekannt schlechten Honorierung des Lehrauftrags! Dies widerspricht auf den ersten Blick der Antwort auf Frage 7, bei der 61 Prozent angaben, ein anderes Arbeitsverhältnis mit Vertrag bei Kirche, Musikschule oder Schule zu haben. Bei genauem Hinsehen stellt man jedoch fest, dass ein „Arbeitsverhältnis mit Vertrag“ durchaus z.B. auch eine Teilzeitstelle oder eine ganze oder halbe Stel­le im Honorarvertrag an einer Musikschule sein kann.
Die Ergebnisse der Fragen 7, 10 und 11 zeigen deutlich, dass viele Lehrbeauftragte im “Patch­work” arbeiten, also mehrere (teils schlecht bezahlte) Stellen gleichzeitig bedienen!
12. Auch wenn es von vielen Hochschulen anders gesehen wird, werden doch 33,3 Prozent der Lehrbeauftragten zu administrativen Tätigkeiten herangezogen.
13. Nur 26,6 Prozent aller Lehrbeauftragten bekommen die Fahrtkosten erstattet.
14. Nur 6,3 Prozent bekommen Übernachtungskosten erstattet. Bei Frage 13 und 14 gab es den Einwand verschiedener Hochschulen, die Zahlen seien bei ihnen höher. Wir können aber nur die Informationen nutzen, die wir durch die Umfrage bekommen haben. Manche Zahl mag aus den oben genannten Gründen an einzelnen Hochschulen jedoch höher sein.
Wir haben uns dazu entschlossen, die Gesamttabelle der Ergebnisse nicht zu veröffentlichen, da dies einem Blick in die individuelle Situation einer Hochschule gleichkäme. Jeder Hochschule wird jedoch selbstredend gerne Einblick in die sie selbst betreffenden Ergebnisse gewährt. Allen, die an der Befragung teilgenommen haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich für ihr wichtiges Engagement bedanken. Es hat uns geholfen, etwas mehr Licht und Klarheit in die Situation der freien Lehrbeauftragten an deutschen Musikhochschulen zu bekommen. Am 27. und 28. Oktober 2012 findet die 3. Konferenz der Bundeskonferenz der Lehrbeauftragten an Musikhochschulen an der Hochschule für Musik und Tanz Köln statt. Alle Lehrbeauftragten sind herzliche eingeladen, und wir würden uns freuen, möglichst viele von ihnen begrüßen zu dürfen.
Friedemann Immer