Eötvös, Peter
Lectures différentes
für Saxophonquartett, Partitur und Stimmen
Auch wenn es mittlerweile eine große Anzahl von Kompositionen für Saxofonquartett gibt, so finden sich darunter nicht sehr viele der Superstars der Neuen Musik. Peter Eötvös gehört mittlerweile zur älteren Generation und gilt nicht nur als ausgezeichneter Komponist, sondern auch als ein an allen großen Häusern gefragter Dirigent.
Das Quartett gliedert sich in zwei Szenen, die jeweils in zwei Versionen (1/A und 1/B sowie 2/A und 2/B) vorliegen. Eötvös bezieht sich mit dem Stück auf eine darstellerische Idee, die er in einer Probe mit dem Regisseur Klaus Michael Grüber erlebt hatte. Am Ende sagte dieser: Jetzt noch einmal in ganz anderer Lesart. Auch wenn es sich um den identischen Text handelte, folgte eine vollkommen andere Interpretation. In dieser Weise wird in den beiden Szenen ein bestimmter Charakter und ein bestimmtes Material vorgegeben, das in der folgenden Szene auf andere Weise wieder aufgegriffen wird. Szene 1/A beginnt mit chromatischen Figuren, die durch die Instrumente wandern und zwischen Septolen und Sextolen changieren. Es folgt eine polyfone Zwischenpassage, in der das Material zwar noch latent vorhanden ist, im Satz aber weitestgehend verschwindet. Es dünnt recht schnell aus und rekurriert erneut auf das Anfangsmaterial, nun in einem rhythmisch-metrischen Spiel mit unterschiedlichen Betonungen.
Szene 1/B nutzt das Anfangsmaterial, wobei der virtuose Anfangscharakter zugunsten ungarischer Volksmusikelemente aufgegeben wird. Mehr als im ersten Satz greifen homofone Teile ineinander, die zuweilen eine jazzähnliche Sprache verwenden. Harmonisch scheint Eötvös nicht ganz strenge Allintervallakkorde und verschobene Quartklänge zu verwenden, schreckt aber auch nicht vor reinen Terz- und Quintklängen zurück.
Szene 2/A und B scheinen mehr durch rhythmische Elemente miteinander verbunden zu sein. Die Ganztonleiter vom Anfang wird zwar wieder aufgegriffen, wirkt aber motivisch nicht so prägend wie die Nachschlagfiguren im zweiten und dritten Takt. Auch in diesen Szenen wechseln stark rhythmisierte polyfone und homofone Passagen miteinander ab, ganz klassisch greifen die Stimmen ineinander. Durchgehend hat man den Eindruck, der Komponist erzählt eine Geschichte.
Wer viel zeitgenössische Musik spielt, wird den Text als eher klassisch empfinden. Es werden bis auf wenige, sehr einfache Multiphonics, Vierteltöne und Slaps keine neuen Spieltechniken verwendet. Auch der Tonumfang ist gemäßigt und bewegt sich größtenteils in den ersten beiden Oktaven. Leicht ist das Quartett trotz allem nicht. Die vielen Taktwechsel und rhythmischen Unterteilungen verlangen eine große Präzision und ein gut eingespieltes Quartett. Mit einer Spieldauer von etwa neun Minuten wird sich das Werk aber ohne Frage unter Saxofonisten im Standardrepertoire etablieren. Es liegen gut eingerichtete Spielstimmen mit Stichnoten vor. Leider ist die Partitur nicht als transponierende Spielpartitur geeignet, da sie als Studienpartitur in C notiert wurde. Wer lieber aus einer Partitur spielt, wird sich daher entweder sehr viel Arbeit machen oder aber den Komponisten anschreiben müssen.
Martin Losert


