Georges Bizet

L’Arlesienne

Suite Nr. 2 für Orchester, hg. von Lesley A. Wright, Partitur

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Breitkopf & Härtel/Eulenburg, Wiesbaden/Mainz 2018
erschienen in: das Orchester 09/2018 , Seite 72

Auf der Bühne ein Flop, als Suite top – so erging es Georges Bizet mit dem Melodram L’Arlesienne nach der Vorlage von Alphonse Daudet. Die Premiere 1872 im Pariser Théatre du Vaudeville fand kaum Gnade bei den Kritikern, vor allem die Geschichte um den unglücklichen Bauern Fréderi, den seine Liebe zu zwei Frauen in den Selbstmord treibt, konnte nicht überzeugen.
Bizets Musik hingegen fand wohlwollende Anerkennung, sodass sich der Komponist entschloss, vier der insgesamt 27 Nummern zu einer Suite zusammenzustellen. Leicht bearbeitet und reicher orchestriert, erzielte sie schon zwei Monate später einen großen Erfolg.
Bizet selbst hatte offenbar nicht die Absicht, eine zweite Suite herauszubringen. Dafür kam, ein Jahr nach Bizets Tod, sein Verleger Antoine Choudens auf die Idee, das Publikum mit weiterer L’Arlesienne-Musik bei Laune zu halten. 1876 beauftragte er Bizets engen Freund Ernest Guiraud, eine zweite Suite zusammenzustellen.
Bei Breitkopf & Härtel ist nun im Rahmen der Urtext-Ausgaben auch die Partitur der zweiten L’Arlesienne-Suite erschienen. Beide Ausgaben im Format 25 mal 32 Zentimeter folgen dem Text der kleineren Taschenpartituren, die 1998 und 2001 bei Eulenburg herausgekommen sind. Editiert wurden sie von Lesley A. Wright, einer amerikanischen Musikforscherin, deren Spezialgebiet französische Musik des 19. Jahrhunderts ist. Ihr kundiges Vorwort informiert umfassend über die Entstehungsgeschichte von Bizets Schauspielmusik und Guirauds Bearbeitungsverfahren.
Was die in orchestrale Dimensionen erweiterte Besetzung anbelangt, folgte er exakt Bizets Beispiel. Die Schauspielmusik war für 26 Instrumentalisten geschrieben – eine Zahl, die sich aus dem Budget ergab, das dem Auftraggeber Léon Carvalho, Leiter des Théatre du Vaudeville, zur Verfügung stand. Bizet wählte eine kammermusikalische Besetzung mit den üblichen Holzbläsern plus Altsaxofon, zwei Hörnern sowie Klavier, Pauke und Tamburin. Auffallend am fünfstimmigen Streicherchor ist, dass er mit nur einer einzigen Bratsche besetzt ist. Giraud fügte nun für die zweite Suite (wie Bizet für die erste) je eine zweite Oboe und Klarinette, zwei weitere Hörner, zwei Trompeten, zwei Kornette und drei Posaunen hinzu und legte ein adäquat besetztes Streichquintett zugrunde.
Und wie Bizet „kombinierte Guiraud Stücke so miteinander, dass eine viersätzige Suite entstand, die ungefähr dem traditionellen sinfonischen Aufbau entsprach“, so Wright. Für die Sätze „Pastorale“, „Intermezzo“, „Menuett“ und „Farandole“ übernahm Guiraud sehr viel aus Bizets Schauspielmusik, komponierte jedoch Reprisen oder Übergänge hinzu und stellte Teile um. Eine besondere schöpferische Leistung Guirauds stellt seine Idee dar, in der Nummer 4 die Melodien der „Farandole“ und des „Marcho dei rei“ kontrapunktisch zu verflechten. All das erläutert Wright durch Angabe der Takte sehr präzise. Zieht man also die Partitur der Schauspielmusik zum Vergleich heran, bietet das Vorwort spannende Einblicke in die Werkstatt eines Arrangeurs im 19. Jahrhundert.
Mathias Nofze