Johann Benjamin Gross

Larghetto und Variationen op. 28

für Violoncello und Orchester

Rubrik: Rezension
Verlag/Label: PAN Verlag, Basel/Kassel
erschienen in: das Orchester 7-8/2025 , Seite 72

Er musizierte mit Berühmtheiten wie Henri Vieuxtemps und Heinrich Wilhelm Ernst, er pflegte Kontakt zu Robert Schumann und wirkte als Kompositionslehrer der jungen Clara Wieck. Und doch bedurfte es editorischer Pionierarbeit, um Persönlichkeit und Werk von Johann Benjamin Gross zu erschließen: Folckert Lüken-Isberner – Architekt und Musikliebhaber – stieß beim Stöbern im Familienarchiv auf einen Nachruf zum Tod des Cellisten und Komponisten und nahm dies zum Anlass, Gross’ Leben zu erforschen: 1809 geboren, erhielt dieser 14-jährig seine erste Anstellung als Orchestercellist. 1832 ging Gross nach Leipzig, trat im dortigen Gewandhaus auf und übersiedelte bald ins estländische Tartu. Hier war er Streichquartettkollege des späteren Leipziger Konzertmeisters Ferdinand David. 1837 wurde Gross 1. Cellist im Hoforchester St. Petersburg, er erhielt den Titel eines kaiserlichen Kammermusikus und wirkte als Professor am Lyceum. 1848 erkrankte er an der Cholera und starb im selben Jahr.
Im Nachruf von Gross war zu lesen, dass in seinen Kompositionen „ein ernster, poetischer Geist“ wehe und seinem Cellospiel „jene coquette Leichtigkeit [gefehlt habe], wodurch ein moderner Kunstreisender ein Salonpublikum in Staunen“ versetzen könne. Angesichts seines Opus 28 mögen diese Schilderungen überraschen: „Ernst“ mutet die Musik kaum je an, und ohne „Coquetterie“ dürfte – damals wie heute – ein solches Feuerwerk cellistischer Kabinettstücke nicht zu bewältigen sein. Gross hat sein Variationenwerk 1836 selbst uraufgeführt, er muss über eine brillante Technik verfügt haben!
Nach kurzer Introduktion, in der vom Soloinstrument einiges an leichtfüßiger Kantabilität verlangt wird, folgt ein schlichtes D-Dur-Thema, vorgetragen vom Cello mit Streicherbegleitung. Die anschließenden drei Variationen, jeweils durch Orchesterritornelle voneinander getrennt, spielen sich cellistischerseits zum größten Teil auf A- und D-Saite ab und enthalten vieles von dem, was „gut und teuer“ ist: schnelle Läufe, Oktavgänge, Spiccato-Akrobatik, diffizile Daumenlagen-Doppelgriffe. Nach einer Minore-Variation kehrt das Geschehen nach D-Dur zurück, die anschließende Variation entfaltet sich zur selbstständigen Coda, in der nochmals höchster Virtuosenglanz gefordert ist.
Die von Lüken-Isberner edierte Ausgabe des PAN-Verlags gibt den Notentext des Erstdrucks von 1837 wieder. Es ist anzunehmen, dass die Fingersätze in der Solostimme auf den Komponisten zurückgehen. Ein – für Fach-Vertreter:innen – interessantes Detail: Der 4. Finger wurde offenbar entsprechend damaliger Cellotechnik in der Daumenlage sehr viel häufiger eingesetzt, als es heute üblich ist.
Ein überaus dankbares Stück, eine Bereicherung des „schwierigen“ Repertoires.
Gerhard Anders

 

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