Jacques Offenbach
La vie parisienne
Orchestre national du Capitole de Toulouse, Chœur de l'Opéra du Capitole de Toulouse, Ltg. Romain Dumas
Diese Neuaufnahme von La vie parisienne ist ein Muss mit editorischem und dramaturgischem Mehrwert. Sie offenbart überdies die für Aufführungen kompliziert werdende Schnelllebigkeit der Operette bzw. Opéra-bouffe und deren Pointen. Schwierigkeiten bietet der zumeist in der Bearbeitung aus dem Jahr 1873 oder in der Uraufführungsfassung von 1866 bekannte Spitzentitel La vie parisienne durch seine Zeitgebundenheit. Repliken im Textbuch auf das Geschehen der Entstehungszeit muss man verändern, um verstehbar zu bleiben.
Ein beträchtlicher Unterschied besteht auch zwischen der ursprünglich einstudierten Fassung und den Veränderungen bis zur Uraufführung. So kommt das erlebnishungrige Touristen-Ehepaar de Gondremarck statt aus Dänemark später aus Schweden, weil die dänischen Herzogtümer Schleswig und Holstein nach dem Krieg von 1864 zu Provinzen Preußens wurden. Zwischen Offenbachs abgegebener Partitur und der Uraufführungsfassung vom 31. Oktober 1866 im Pariser Théâtre du Palais-Royal wurde der vierte Akt in der fünfaktigen Einrichtung komplett umgestaltet. Nur Zulma Bouffar kam für die Rolle der Handschuhmacherin Gabrielle aus dem Stamm-Ensemble Offenbachs, alle anderen waren Schauspieler ohne Gesangsausbildung. Deshalb wurden Musiknummern vereinfacht und verkürzt.
Die Buch-CD von Bru Zane entstand nach Aufführungsserien in Rouen, Tours, Liège, Paris, Limoges und Montpellier. Letztlich setzt auch sie wie die meisten anderen Aufnahmen mehr auf sängerischen Feinschliff als auf den von Offenbach beabsichtigten Abstand zur Vokalbrillanz an den Pariser Opernhäusern. Die Partie der Kurtisane Métella, deren Auftrittsarie hier in der noch nicht für Hortense Schneider erweiterten Fassung erklingt, singt Véronique Gens, eine lyrische Héroine des Musiktheaters. Marc Mauillon (Bobinet), Artavazd Sargsyan (Raoul de Gardefeu) und die anderen Besetzungen der männlichen Partien zeigen große Affinität zu den moussierenden Beschleunigungen. Der Dirigent Romain Dumas dringt mit dem Orchestre national du Capitole de Toulouse mit jeder Vorstellung zu sinnlicherer Leichtigkeit vor. Die unangestrengten Wechsel von Dialogen und Musiknummern, die flockige wie nachdrückliche Diktion und die mit eleganter Süffisanz einfließenden Zweideutigkeiten machen die Aufnahme nach der Inszenierung von Christian Lacroix zum vergnüglichen Leichtgewicht. Ein Verlust: Bru Zane widmet die Aufnahme der noch in Paris als Gabrielle an La vie parisienne mitwirkenden und im Juni 2024 mit nur 35 Jahren verstorbenen Sopranistin Jodie Devos. Anne-Catherine Gillet übernahm deren Partie mit großem Erfolg.
Roland Dippel