Giuseppe Verdi

La Traviata

Lisette Oropesa (Sopran), René Barbera (Tenor), Lester Lynch (Bariton), Sächsischer Staatsopernchor Dresden, Dresdner Philharmonie, Ltg. Daniel Oren

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Pentatone
erschienen in: das Orchester 02/2023 , Seite 70

Allseits beliebt ist Giuseppe Verdis La Traviata. Sie gehört zu den weltweit meistaufgeführten Opern und wurde häufig eingespielt. Stars wie Maria Callas, Montserrat Caballé oder Anna Netrebko erfüllten die Hauptpartie der Kameliendame mit vokalem Leben und loteten dabei die Möglichkeiten zwischen hochdramatischer Darstellung und lyrischer Finesse aus. Ebenso verwöhnten die Interpreten des Alfredo die Ohren mit tenoralem Können, allen voran Alfredo Kraus (live mit Callas 1958 unter Franco Ghione) und Carlo Bergonzi (mit Caballé 1967 unter Georges Prêtre).
Neben den hervorragenden Referenz-Aufnahmen gibt es eine Fülle weiterer Einspielungen, die sich etwa für Fans einzelner Sänger:innen oder Dirigent:innen lohnen. In diese Gruppe reiht sich auch die vorliegende Aufnahme der Dresdner Philharmonie ein. Ihr Kauf lohnt wegen der Hauptdarstellerin, der Amerikanerin Lisette Oropesa. Ihre sensibel geführte Stimme verbindet eine charakteristische Schärfe mit lyrischer Geschmeidigkeit und lebendigen Koloraturen, wobei sich ihr Vibrato gerade noch innerhalb der Grenzen des Angenehmen bewegt. Die große Szene im ersten Akt È strano, ihr Duett mit Alfredos Vater Germont im zweiten Akt oder auch der expressive dritte Akt mit der ergreifenden Sterbeszene gelingen ihr eindrucksvoll – was Technik und Ausdruck betrifft. Zwar erreicht sie nie jene glühende und risikofreudige Darstellungskunst einiger Sängerinnen der Vergangenheit, doch sollte man heutzutage einfach dankbar für solch eine Stimme sein.
Dass die Oper auf dieser Aufnahme dennoch nicht zündet, ist dem Dirigenten Daniel Oren anzulasten, der die Dresdner Philharmonie nicht anspornt, sondern mal zu sängerfreundlich, mal zu wuchtig, aber kaum raffiniert durch das Werk leitet. Sehnsüchtig denkt man da an Carlos Kleibers rhythmisch federnde und dramatisch mitreißende Aufnahme von 1976 zurück oder auch an Carlo Maria Giulinis atmosphärischen Live-Mitschnitt von 1955 aus der Mailänder Scala. Stimmlich bescheiden sind in dieser Dresdner Neuaufnahme außerdem die männlichen Partner, so der Tenor René Barbera (Alfredo). Und dem weinerlich-heiser singenden Bariton Lester Lynch (Germont) gelingen weder die autoritären noch die lyrisch-mitfühlenden Passagen dieser Verdi-Partie. Immerhin kann neben der soliden Leistung der Dresdner Philharmonie der erfahrene Sächsische Staatsopernchor Dresden ein Glanzlicht setzen. Dennoch fragt man sich, wieso eine so unausgeglichene Aufnahme überhaupt auf den Markt kommt. Wie das Coverfoto verrät, handelt es sich offenbar um ein Fanprodukt, das auf die Sängerin zugeschnitten ist, denn produziert hat diese CD (SACD) die San Francisco Classical Recording Company. Dort unterschrieb Lisette Oropesa kürzlich einen Fünfjahresvertrag. Matthias Corvin