Jacques Offenbach

La Périchole

Les Musiciens du Louvre, Chœur de L’Opéra National de Bordeaux, Ltg. Marc Minkowski

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Palazzetto Bru Zane
erschienen in: das Orchester 01/2020 , Seite 74

Jeder verstand die Botschaft, die in charmanter Verkleidung überbracht wurde. Auch hierin war Jacques Offenbach ein Meister: Anspielungen auf die realen Verhältnisse seiner Zeit finden sich in seinen Werken hundertfach, stets jedoch ironisch verhüllt, was indes nicht verhinderte, dass er immer wieder in Konflikt mit der Zensur geriet. Im Fall seiner 1868 uraufgeführten Opéra-bouffe La Périchole dürfte jedem Zuschauer bewusst gewesen sein, dass sich hinter der Titelheldin – einer Straßensängerin in Lima, die sich der Mätressen-Jagd des Vize-Königs von Peru ergibt, um ihren ärmlichen Lebensverhältnissen zu entkommen, schließlich aber, dank der Gnade des Monarchen, an der Seite ihres geliebten Sänger-Kollegen Piquillo weiterleben darf – eine Karikatur der spanischstämmigen Kaiserin Eugénie verbarg. Ob ihr Ehemann Napoléon III. das Stück im Théâtre des Variétés gesehen und sich trotz allem kaiserlich amüsiert hat, ist nicht verbürgt.
Mit der vorliegenden Einspielung knüpft Offenbachianer Marc Minkowski an vielgerühmte Bühnen- und CD-Produktionen etwa der Schönen Helena und des Unterwelt-Orpheus an. Wir hören einen Livemitschnitt aus der Nationaloper Bordeaux, im Graben saß Minkowskis historisch informiertes Leib-Orchester Les Musiciens du Louvre. Souverän und mit hörbarem Spaß demonstrieren Orchester und Dirigent die Raffinesse Offenbach’scher Instrumentationskunst und finden für die kontrastreichen Tableaus der Partitur – von schmelzender Romantik über den Offenbach-typischen Buffo-Ton bis hin zu Hispanismen wie Seguidilla und Bolero – stets den richtigen Gestus. Nicht ganz auf gleichem Niveau agiert der Chor der Oper Bordeaux, wobei sein gelegentlich flackernder Klang gewiss der Bühnensituation geschuldet ist und insofern nicht mit dem Maß einer Studioproduktion gemessen werden darf.
Das Solistenensemble kommt ohne große Stars aus, die drei Hauptrollen sind herausragend besetzt: Alexandre Duhamel gibt dem Vizekönig Don Andres baritonale Fülle, aber auch Witz und Ironie. Stanislas de Barbeyrac singt den – im Grunde tölpelhaften – Piquillo (was La Périchole an ihm findet, bleibt eh schleierhaft!) brillant, vielleicht einen Tick zu metallisch. Sängerisches Hauptereignis der Aufnahme ist ohne Zweifel der Carmen-affine, zugleich ungemein vielgestaltige Mezzosopran von Aude Extrémo in der Titelpartie.
Die Produktion entstand in Zusammenarbeit mit der Fondation Bru Zane, die in einem venezianischen Palazzo ein Forschungszentrum zur französischen Musik zwischen 1780 und 1920 betreibt. Wie immer werden wir von Bru Zane auch in diesem Fall verwöhnt: Die limitierte Edition enthält ein veritables Buch von 150 Seiten mit vier höchst lesenswerten Essays und dem vollständigen Libretto.
Viele Positiva, die das größte Manko der Produktion fast wettmachen: Der Gesamtklang ist „topfig“, mithin einer hochkarätigen CD-Produktion nicht angemessen. Vielleicht wäre der Gang ins Studio oder in einen geeigneten Saal doch ratsam gewesen.
Gerhard Anders