Gounod, Charles

La Nonne Sanglante

Oper in fünf Akten

Rubrik: CDs
Verlag/Label: cpo 777 388-2
erschienen in: das Orchester 03/2011 , Seite 68

Diese Oper des jungen Charles Gounod verschwand, wie viele dieses Genres im Laufe der Jahrhunderte, in der Versenkung. Das Theater Osnabrück erinnerte an das vergessene Werk. Gabriele Rech inszenierte, am Pult stand GMD Hermann Bäumer. Er leitet das Symphonieorchester Osnabrück auch bei dieser Einspielung, die mit denselben Solisten dieser späten deutschen Erstaufführung aufwartet.
Hat sich das „Abenteuer Gounod“ für alle Seiten gelohnt? Ja und nein. Musikgeschichtlich und biografisch nimmt Die blutige Nonne, Oper in fünf Akten mit dem Libretto von Eugène Scribe und Germain Delavigne, die Stellung einer Zwischenstation ein. Die dritte Oper Gounods wurde 1854 in Paris uraufgeführt, kam beim Publikum gut an – nicht jedoch beim Opera-Intendanten François-Louis Crosnier, der die Verknüpfung von Gespenstergeschichte, reißerischem Titel und religiöser Innerlichkeit ablehnte. Nach elf Vorstellungen kam das Aus für das typisch romantische Stück.
Gounod verbindet man auf der Opernbühne mit Faust. Dagegen fällt La Nonne Sanglante klar ab. Arien der Titelfigur (Agnes), des Tenors Rodolphe oder des Comte de Luddorf (Bass) können zwar gefallen, sind lyrisch oder dramatisch je nach Situation durchpulst, aber ein Gassenhauer-Erfolg oder ein Mitsumm-Effekt fehlt. Was Gounod dennoch auszeichnet: die gut durchgearbeiteten Szenen, die heftigen, die Handlung vorwärts treibenden Kontraste mit kühnen Schnitten von Akt zu Akt, das souveräne Ba­lancieren zwischen Stimme(n) und Orchester. Auch das Gespür für theatralische Steigerungen nebst Höhepunkten lässt sich nicht leugnen. Aber glutvolle Opernheroik und dankbares Ariengeglitzer hört sich anders an…
Die Handlung fällt aus dem Rahmen der Opernkost des 19. Jahrhunderts. Von Scribe, diesem Tausendsassa erfindungsreicher Opernszenen, ist man nach dem Hören von bereits drei Akten enttäuscht. Zu krude, krass, komisch springt das Libretto zwischen den Polen hin und her. Scribes Vorlage bildet der Bestseller des englischen Autors Matthew G. Lewis, Der Mönch, der noch mehr Blut und Boden, Fluch und Tod garantiert als dieser (Opern-)Verschnitt. An dem Thema zeigten auch Verdi, Meyerbeer, Halevy und Berlioz damals Interesse. Doch Gounod bekam nach Absagen und Zögern der anderen den Zuschlag vom Librettisten.
In der Osnabrücker Aufnahme, technisch akzeptabel, von Bäumer mit dem Romantik-Drive einer Feind-und-Fluch-Ballade aufgeputscht, stellt sich die Sängergarde des Hauses mit französischem Ton vor: Natalie Atamanchuk (Agnes), Eva Schneidereit (Nonne), Marco Vassali (Luddorf), Yoonki Baek (Rodolphe) und Genadijus Bergorulko (Moldaw) u.a. treten mit Verve und arioser Magie den Kampf mit den drohenden Geistern innen und außen an. Das Ensemble imponiert. Ebenso wie das Orchester, das sich unter Bäumers Dirigat jederzeit auf der Höhe der Blutbilder à la Troubadour zeigt.
Die Gounod-Rarität wird im Liebhaber-Kabinett für Exoten verbleiben. Ins heutige Musiktheater-Repertoire dürfte die „gespenstische Fami­liengeschichte“ kaum einziehen. Konzertant lassen sich etliche Musikteile immerhin genießen.
Jörg Loskill