Giuseppe Verdi

La mia letizia infondere

Héctor Sandoval (Tenor), Philharmonie Baden-Baden, Ltg. Pavel Baleff

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Gramola
erschienen in: das Orchester 12/2021 , Seite 75

Die Opern von Giuseppe Verdi bieten für Sänger immer wieder dankbare Aufgaben, aber auch anspruchsvolle Herausforderungen. Verständlich, dass Interpreten sich gerne an diesen großartigen Stücken erproben – so wie jetzt der mexikanische Tenor Héctor Sandoval, der sich in seinem gefälligen Recital auf eine „Rosinenjagd mit frühem Verdi“ begibt.
Die Bezeichnung „früh“ allerdings ist weit gefasst, schließt die Auswahl doch auch Werke des nicht mehr ganz so jungen Komponisten ein – unter Auslassung der notorischen sogenannten „trilogia popolare“ aus den beginnenden 1850er Jahren. Die zehnteilige Titelliste reicht von I Lombardi alla prima crociata und I due Foscari bis zu Don Carlos (in der späten italienischen Fassung) und Macbeth. Was jedoch die „Rosinen“ angeht, fällt nur die Arie des Titelhelden in Gustavo III aus dem Rahmen des Bekannten, handelt es sich hier doch um eine frühe, 1858 von der Zensur abgelehnte und von Verdi überarbeitete Fassung des Ballo in maschera.
Die Aufnahmen für die erst jetzt erschienene CD entstanden bereits 2007 – eine Verzögerung, aufgrund derer die CD über die aktuelle Entwicklung des Sängers wenig aussagt. Sandoval, der 1994 nach Wien kam und dort von seinem Landsmann Francisco Araiza ausgebildet wurde, verfügt über einen schlanken, jugendlich akzentuierten Tenor, der namentlich in den Stücken des jungen Verdi durch lebhafte Emphase und offene Frische seine Vorzüge entfaltet.
So zählen denn Arien wie das feurige „Mercé, diletti amici“ aus Ernani oder das patriotisch inspirierte „La mia letizia infondere“ aus I Lombardi zu den gelungensten Stücken der Einspielung, während Sandoval in der verzweifelten Arie „Io l’ho perduta“ aus Don Carlos mit dem veränderten Gestus der Musik nicht ganz so überzeugend zurechtkommt. Solche Nuancen fallen in einem gemischten Recital, bei dem ein Verdi-Hit auf den nächsten folgt, natürlich besonders ins Gewicht, zumal sich die aufgenommenen Stücke konsequent auf solistische Nummern des Tenors beschränken und andere Stimmen aussparen.
Das begleitende, erstaunlich nachlässig geschriebene Beiheft der CD rennt in seinem Einsatz für die keineswegs verkannten Vorzüge der Verdi-Opern kraftvoll offene Türe ein, bleibt aber in seinen Erläuterungen zu den Gründen der Auswahl und zu den Eigenheiten der einzelnen Arien leider sehr unergiebig.
Dagegen kann die Einspielung musikalisch durchaus für sich einnehmen. Die traditionsreiche Philharmonie Baden-Baden, die auf eine stattliche Reihe von CD-Aufnahmen verweisen kann und nicht zuletzt als „Hausorchester“ des ortsansässigen Festspielhauses bei Einsätzen mit prominenten Solisten bestens eingesetzt und ausgewiesen ist, erweist sich auch hier unter der Leitung ihres umtriebigen Chefdirigenten Pavel Baleff als schön ausgewogener, angemessen differenzierter Klangkörper, ohne den Primat der menschlichen Stimme im musikalischen Kosmos der Verdi-Opern in Zweifel zu ziehen.