Rossini, Gioachino

La Cenerentola

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Naxos 8.660191-92
erschienen in: das Orchester 06/2006 , Seite 84

Eine neue Ausgabe des „dramma giocoso“ von Gioachino Rossini, La Cenerentola ossia La bontà in trionfo (Aschenbrödel oder Der Triumph der Tugend), 1816 auf ein Libretto von Jacopo Ferretti für das römische Teatro Valle komponiert und hier von Alberto Zedda in der kritischen Edition bei Ricordi aufgenommen. Das Beiheft ist knapp gehalten, enthält dennoch eine Einleitung vom Herausgeber (auch Herausgeber der Rossini-Gesamtausgabe und künstlerischer Leiter des Pesaro Rossini Opera Festivals) und eine genaue Zusammenfassung der Handlung. Der gesungene Text, so das Booklet, befindet sich als PDF-Datei im Internet unter www.naxos.com/libretti/cenerentola.htm, um „den günstigen Preis [der] Veröffentlichungen und die führende Position von Naxos in diesem Preissegment zu halten“.
Fassen wir kurz Rossinis Änderungen gegenüber dem bekannten Märchen zusammen: Die Handlung spielt im Italien des 18. Jahrhunderts. Angelina, genannt Cenerentola, zeigt ihr gutes Herz dadurch, dass sie einem Pilger etwas zu essen gibt, der sich später als der Lehrer von Cenerentolas Prinzen entpuppt. Dieser bringt den Prinzen (als Kammerdiener verkleidet) in Cenerentolas Haus und bei beiden ist es Liebe auf den ersten Blick. Cenerentola kommt auf den Ball des Prinzen, doch verlangt sie von diesem, dass er erst herausfinden müsse, wer sie wirklich sei, und überlässt ihm einen von zwei Armreifen, die sie trägt. Nach einem langen Ritt in der stürmischen Nacht (Gewittermusik!) findet er sie und verzeiht dank ihrer Intervention auch ihrem Vater und ihren Schwestern deren ungebührliches Verhalten. Die letzte Szene beendet das Drama triumphal: „Auf dem Thron regiert die Güte.“
Beim ersten Hören dieser viel versprechenden CD macht sich Unsicherheit beim Zuhörer bemerkbar: Welche Klangvorstellung verfolgt das Orchester und sein Leiter? Von Alberto Zedda als großem Rossini-Kenner erwartet man viel, und das gleich in der Ouvertüre (die in diesem Falle einer anderen Oper – La gazzetta – entnommen ist). Doch fängt sich das Orchester im Laufe der Liveaufnahme und gibt am Ende ein ganz interessantes und vielschichtiges Ensemblebild.
Die gleiche Unsicherheit ist auch bei den Sängerinnen am Anfang zu spüren: Die bösen Schwestern Cenerentolas, Patrizia Cigna als Clorinda und Martina Borst als Tisbe, finden ganz ihrer Rolle entsprechend nicht nur im übertragenen Sinne schwer zum richtigen Tempo, was bei den Beschleunigungen von Rossinis Orchester noch verstärkt wirkt. Selbst Joyce DiDonato als Cenerentola bemüht sich am Anfang in den zungenbrecherischen Passagen, die zudem prestissimo gesungen werden sollen und gerade wegen ihres pointierten Rhythmus eine sehr akkurate Artikulation erfordern. Da hatte es Cecilia Bartoli als Rossini-Interpretin zugegebenermaßen leichter, aber auch Ann Murray hatte eine versiertere Cenerentola gegeben. Von der einfachen Auftritts-Canzonetta „Una volta c’era un re“ ist dennoch Cenerentolas Aufstieg zum Glück und DiDonatos vokaler Lauf zu den Höhen der Belcantokunst unaufhaltsam. Bruno Praticò in der Vaterrolle als Don Magnifico gibt auch gleich einen „magnifico“ Bassobuffo mit ins groteske übertriebenen Auftritten, so in der Darstellung seines Traums, in dem er selbst komischerweise als Esel vorkommt. Auch José Manuel Zapata als Don Ramiro, Prinz von Salerno, fügt sich blendend in seine Rolle. In den Nebenrollen ragt Paolo Bordogna als Dandini (Kammerdiener des Prinzen) heraus, mit schöner metallischer Stimme und einer eigentümlichen neapolitanischen Prägung. Luca Pisaroni als der Philosoph Alidoro, Lehrer des Prinzen, gibt seinerseits die berühmt-berüchtigte Arie „Là del ciel nell’arcano profondo“ – die sich schon zu Rossinis Lebzeiten wegen ihrer enormen Schwierigkeiten nicht durchsetzen konnte und doch zwingend zu einer vollständigen Wiedergabe von Rossinis Original gehört – mit Bravour wieder.
Es ist am Ende eine lohnenswerte Erfahrung, sich in diese Oper hereinzuhören, vor allem wegen Rossinis Interpretation des Stoffs, aber auch der Interpreten dieser Aufnahme wegen. Es ist nicht nur das Publikum – wie Zedda schreibt –, das „eingeladen ist an (Rossinis) Spiel der Intelligenz und der Phantasie teilzunehmen“, sondern es sind auch die Interpreten (und schließlich auch die Zuhörer) selbst. Was herauskommt, vermag manchmal in Staunen zu versetzen.
Cristina Ricca