Ysaÿe, Dubois und Franck

La Belle Époque

Duo Ingolfsson-Stoupel: Judith Ingolfsson (Violine), Vladimir Stoupel (Klavier)

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Genuin
erschienen in: das Orchester 04/2020 , Seite 75

Eugène Ysaÿe, Geigenvirtuose, Komponist und Dirigent, war im aufkommenden internationalen Klassikbusiness des ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhunderts einer der ersten wirklichen Stars. Auf der vorliegenden CD ist der Belgier von der ersten bis zur letzten Minute präsent – als Komponist wie auch als Widmungsträger. Außerdem muss man sich Ysaÿe als Interpreten hinzudenken, der die ihm zugedachten Stücke auch aus der Taufe hob. Wie zum Beispiel die Sonate in A-Dur von Théodore Dubois, entstanden im Jahr 1900. Dubois amtierte zu dieser Zeit als Direktor des Pariser Konservatoriums und soll den Eleven untersagt haben, Musik des revolutionären Debussy zu hören. Alles andere als ein musikalischer Bilderstürmer also. Dass er 1894 Mitglied des Institut de France wurde, hat seinen Ruf als konservativer Künstler weiter zementiert.
Dennoch lohnt es sich, sein Œuvre kennenzulernen, das immerhin aus rund 500 Werken besteht. Die bleiben zumeist der Spätromantik verhaftet, werden stilistisch häufig in die Nähe von Saint-Saëns gerückt, bieten aber, wie eben diese Sonate zeigt, mehr als reines Epigonentum. Mit dieser sich „durch absolute Eleganz“ auszeichnenden Komposition, so Philippe Olivier-Achard im Booklet, beschreite Dubois einen „dritten Weg“, der sich von Debussys Impressionismus wie von César Francks – von deutscher Musik beeinflusster – „Melancholie“ unterscheide. Der erste Satz, ein „Allegro appassionato“, gleicht einem rauschhaften Ball im Walzertakt, ein schwärmerisch-schwungvolles Thema wechselt sich mit träumerischen, kantablen Melodiebögen ab, insgesamt ein mitreißendes Auf und Ab der Emotionen mit nie nachlassender Spannung. Die Violine spielt die Hauptrolle, das Klavier begleitet, ist allerdings weit mehr als nur Statist, sondern umgarnt die Hauptstimme mit schwelgerischen Akkorden und glitzernden Figurationen.
Das Duo Judith Ingolfsson (Violine) und Vladimir Stoupel (Klavier) lässt an Intensität des Ausdrucks wie auch Klarheit der Struktur nichts zu wünschen übrig. Das überzeugende Plädoyer für Dubois reiht sich ein in die vielfältigen Aktivitäten des Duos, die auf die Wiederentdeckung vergessener Komponisten zielen. So haben Ingolfsson und Stoupel, um nur zwei Beispiele zu nennen, dem Bartók-Zeitgenossen Paul Arma oder dem Polen Szymon Laks wieder gebührende Aufmerksamkeit verschafft.
Eugène Ysaÿe als Komponist der Vergessenheit zu entreißen, ist da im Vergleich nicht mehr notwendig. Einige seiner Werke erscheinen regelmäßig in Konzertprogrammen, die sechs Sonaten etwa, die jeweils den Stil berühmter Kollegen porträtieren, oder das Poème élégiaque, mit dem Ingolfsson und Stoupel die vorliegende CD eröffnen. Ysaÿe gewidmet war auch eines der wichtigsten Kammermusikwerke des 19. Jahrhunderts überhaupt: die Sonate in A-Dur von César Franck, hier in einer tiefschürfenden Darstellung zu erleben, die durch Ingolfssons charakteristischen Geigenton besonderen Reiz erhält. Ob dieses Werk wirklich das reale Vorbild für die mythische „Sonate de Vinteuil“ aus Prousts Un amour de Swann ist – wofür das Booklet plädiert –, erscheint da eher nebensächlich.

Mathias Nofze