Ravel, Maurice / Chabrier, Emmanuel

L'heure espagnole / España

Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Asher Fisch

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR-Klassik 900317
erschienen in: das Orchester 09/2017 , Seite 75

Maurice Ravels einaktige Oper L’heure espagnole (Die spanische Stunde, komponiert 1907, orchestriert 1909, uraufgeführt 1911) verbindet ein operettenhaftes Sujet mit avancierter Musik. Die gelangweilte Uhrmachergattin Concepción („[unbefleckte] Empfängnis“) hält pünktlich ihr Schäferstündchen ab – in jener Stunde des Tages, in der ihr Gatte die Uhren der spanischen Stadt Toledo stellen muss –, wechselt dabei ihre Liebhaber aus, die sie in Standuhren steckt, die sie wiederum von dem Maultiertreiber Ramiro in ihr Schlafzimmer im oberen Stockwerk und wieder zurück tragen lässt, bevor sie ihn dorthin bittet, diesmal „ohne Uhr“.
Es geht um die Mechanik nicht nur der Sexualität, sondern auch der Seele, um sich bewusst abzusetzen von Claude Debussys Oper Pelléas et Mélisande (1902), die Ravel gleichwohl an passender Stelle parodistisch zitiert (das „l’heure officielle n’attends pas“ des Uhrmachers Torquemada erinnert an das „Je suis le prince Golaud, le petit fils d’Arkel et le vieux roi d’Allemonde“ aus der ersten Szene des Pelléas).
Die Musik verschmilzt einen leichten Konversationston mit raffiniertesten Orchester-Kommentaren. Selbst für Ravels Verhältnisse ist das eine seiner farbenreichsten Partituren – mit kurzen, aber dankbaren Solostellen, vor allem für das Englischhorn, und rauschenden Aufschwüngen. Besonders originell wirkt gleich die einleitende „Symphonie horlogère“ („Uhren-Sinfonie“), die Ravel aus seinem unvollendeten Opernprojekt Olympia nach E.T.A. Hoffmann übernahm und in der drei Uhren gleichzeitig ticken, in verschiedenen Tempi und alle 15 Sekunden zusammen. Am Ende wenden sich die fünf Protagonisten mit einer „Moral“ nach Boccaccio an das Publikum.
Ähnlich wie Ravel in der Heure espagnole stellte Emmanuel Chabrier schon 1883 in seiner kurzen Rhapsodie España die Frage nach einem oberflächlichen oder hintergründigen spanischen Lokalkolorit. Bei Ravel gibt es schon ziemlich am Anfang eine Stelle, wo das Spanische bei dem Stichwort „toréador“ (Torero) lustvoll ins Triviale kippt, und Concepción beklagt in ihrem Arioso „Oh! la pitoyable aventure“, die beiden vorigen Liebhaber (der Möchtegern-Dichter Gonsalve und der eitle Banker Don Iñigo) seien doch keine richtigen Spanier.
Auf dieser neuen CD besticht das Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Asher Fisch durch die für diese Werke wünschenswerte Klarheit, Präzision und Leuchtkraft. Noch besser wären ein wenig mehr Durchsichtigkeit, Leidenschaft und dynamische Kontraste gewesen. Die Fallhöhe von Ravel zu Chabrier wirkt auch dadurch etwas zu drastisch. Immerhin werden in der ungleich populäreren España endlich einmal die (wechselnden) Betonungen, zum Beispiel in dem berühmten Fagott-Thema, richtig erfasst. Auch die fünf Gesangssolisten machen ihre Sache recht gut.
Ingo Hoddick