Conrad, Gerhard

Kurt Henkels

Eine Musiker-Biographie mit ausführlicher Diskographie

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Olms, Hildesheim 2010
erschienen in: das Orchester 07-08/2011 , Seite 66

Seit er ihn 1947 erstmals im Radio hörte, „war Kurt Henkels ein Begriff für mich“. Für den heute 82-jährigen Autor war es ein Anliegen, jetzt „den Lebensweg (des Leipziger Orchesterchefs) nachvollziehen zu dürfen“. Zu dessen 100. Geburtstag vergangenen Dezember ist die Biografie erschienen.
Gerhard Conrad hat jahrelang Dokumente und Fotos zusammengestellt, die Familie sowie ehemalige Musiker Henkels’ kontaktiert und Archive aufgesucht. Ergebnis ist eine gut recherchierte Biografie, die präzis den musikalischen Lebensweg eines der berühmtesten Bigband-Leiters der Nachkriegszeit nachzeichnet. Freilich hätte es der Autor etwas ruhiger angehen lassen können. Wenn er von Titel zu Titel, von Aufnahme zu Aufnahme hetzt, dabei seitenweise Zeitungskritiken zitierend, verliert er vielfach den Blick aufs Ganze. Politische und gesellschaftliche Aspekte kommen nur am Rande vor. Henkels erscheint als Monolith, der den Unbilden der Zeit stets zu trotzen verstand.
In Solingen aufgewachsen, „nahm er von klein an die Musik in sich auf“. Er spielte mit acht Jahren Geige, die er später in Köln studierte. Er verdiente sein Studium mit moderner Tanzmusik, die in den 1930er Jahren noch kein Jazz war. Mit eigenem Trio hatte sich Henkels bald einen guten Ruf erspielt, der durch ganz Deutschland drang. 1941 wurde der junge Orchesterleiter zu einem Musikkorps der Wehrmacht nach Danzig gerufen. Dort wurde ihm ein Tanzorchester unterstellt, nebenbei auch das Rundfunktanzorchester Leipzig.
Hier konnte Kurt Henkels nach dem Krieg die wohl populärste Bigband Deutschlands zusammenstellen. Der Erfolg des Orchesters beruhte nicht zuletzt, wie der Autor oft betont, auf den pädagogischen Fähigkeiten seines Leiters, der „innerhalb einer kurzen Zeit eine Einheit aus den Musikern zusammenschweißen konnte“. Gespielt wurde eine Mischung zwischen Bop und Stan Kenton. „Selbst Edelhagen war zu dieser Zeit keine Konkurrenz und fiel beträchtlich ab.“ Beleg sind die unzähligen Aufnahmen, die in der Biografie aufgelistet und beschrieben sind. „Es war nicht alles Jazz und konnte es nicht sein“, schreibt Conrad, denn da hatten die Kulturoberen der DDR ein Wörtchen mitzureden. Vierzig Prozent der gespielten Titel durfte aus dem kapitalistischen Ausland stammen, was sich bald wieder änderte. „Ich wollte die Tanzmusik spielen, die außer den Funktionären in der Zone alle am liebsten hörten“, bekannte Kurt Henkels, als er 1959 in den Westen ging. Er übernahm beim NDR, dann beim ZDF eine Band, konnte aber nicht mehr an die Erfolge in Leipzig anknüpfen. 1966 zog er sich 56-jährig zurück und starb 1986 in Hamburg.
Bei aller fehlenden Distanz zeichnet Conrad ein lebendiges Bild von der Lebenswirklichkeit eines Musikers zwischen Jazz und Unterhaltungsmusik, der seine Liebe zur swingenden Musik in einem Land hochhielt, in dem Jazz als Musik des Klassenfeinds galt. Eine 70-seitige Diskografie von 1948 bis 1965 rundet den Band ab.
Reiner Kobe