Sparkassen-Kulturstiftung Hessen-Thüringen (Hg.)

Kulturelle Entdeckungen

Musikland Thüringen

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Schnell & Steiner
erschienen in: das Orchester 01/2021 , Seite 63

Wer mit diesem handlichen Buch auf Kulturentdeckungsreise gehen will, muss gute Augen haben. Nicht etwa, weil die Institutionen und Zeugnisse des Musiklebens im Bundesland Thüringen mit der Lupe zu suchen wären – ganz und gar nicht –, sondern weil der Schriftgrad des Buchtextes so klein ist wie die Zeilenabstände. Auch die Fotos auf den knallvollen Seiten dürften das Adlerauge selbst des geduldigsten Lesers auf die Probe stellen. Wegen der guten Papierqualität erscheinen die Illustrationen zwar hinlänglich scharf, aber was nützt die Reproduktion einer Telemann- Notenhandschrift auf etwa fünf mal drei Zentimetern? Oder ein zehn mal fünf Zentimeter kleines Foto eines Orgelprospekts samt Schnitzaltar? Wenn für Bebilderung so wenig Platz ist, sollte man sich für klug ausgewählte Details entscheiden – oder einige Bilder weglassen.
Der Aufbau des Textes ist zum Glück sinnvoller. Er ist alphabetisch nach Ortsnamen geordnet; längere Schwerpunktbeiträge, etwa über die Orgellandschaft, Musikfestivals sowie Volksmusik und Volkslied in Thüringen, sollen ortsübergreifende Themen erfassen. Stil und Tonfall der Aufsätze variieren, denn nicht weniger als 50 Autoren haben an dem Büchlein mitgeschrieben.
So verwundert es nicht, dass der Artikel über Thüringens Theater und Orchesterlandschaft deutliche (kultur-)politische Untertöne enthält, wenn man weiß, dass der Text von Thüringens Kulturminister Benjamin-Immanuel Hoff höchstselbst verfasst wurde. Der Beitrag „Musik in der DDR“ liest sich drolligerweise so, als läge diese Geschichte in unerforschter grauer Vorzeit: „Man hörte Radio […], kaufte sich Schallplatten oder ging in Konzerte. Es ist anzunehmen, dass dies der Fall war“. Und der eher kurze Text über das Bach- Land Thüringen enttäuscht insofern, als die übrigen „Bache“ – Johann Sebastian Bachs Thüringer Familie also – kaum erwähnt werden.
Insgesamt aber kann sich der Leser auf die Texte und deren Qualität verlassen. Immerhin gehören Musikwissenschaftler, Historikerinnen, Kulturamtsmitarbeiter und langgediente Thüringer Journalisten zum Autorenstab, und Herausgeberin ist neben der Sparkassen-Kulturstiftung auch die Musikhochschule Weimar. Gerade diejenigen Thüringen-Reisenden, die nicht nur die allbekannten (Kultur-)Städte Weimar, Erfurt, Jena und Meiningen anstreben, sondern tatsächlich Entdeckungen machen möchten, finden hier reichlich Anregung. Das gilt insbesondere für Orgel-Fans, denn das Buch würdigt neben bedeutsamen Silbermann-,Trost- und Volckland-Orgeln sogar Örgelchen wie dasjenige im winzigen Wintzingerode (600 Einwohner) in Text und kleinformatigem Foto.
Und wem das grandiose Folkfestival in Rudolstadt mit seinen – vor Corona – bis zu 100 000 Besuchern ein paar Nummern zu groß ist, der wird sich über den Hinweis auf das Am-Vieh-Theater im 70-Einwohner-Dorf Beulbar freuen. Auch das ist Thüringen.
Frauke Adrians