Michael Pitz-Grewenig

Kultur im Klimawandel

Eine Tagung in Bremen initiiert ein Netzwerk pro Naturschutz

Rubrik: Zwischentöne
erschienen in: das Orchester 01/2023 , Seite 42

Würde Vivaldi heute eine Komposition über vier Jahreszeiten schreiben? Oder wären es angesichts des Klimawandels fünf, vielleicht sechs Zeitabschnitte, aufgeteilt in Frühling, Sommer und Herbst, einen sehr kurzen Winter plus einer stürmischen Wetterphase sowie einer Zeit der Überschwemmungen?
António Guterres, Generalsekretär der Vereinten Nationen, rief Musiker weltweit anlässlich von Beethovens 250. Geburtstag auf, sich Gedanken zur Klimapolitik zu machen, und initiierte das „Beethoven Pastoral Project“. Beethoven wird nicht nur als Tonkünstler, Weltbürger, Humanist und Visionär gefeiert, sondern auch als Naturfreund. „Beethoven loved Nature. We love it, too!“ – was hätte der Komponist wohl dazu gesagt? Ökologisches Denken scheint also schon lange bei Komponisten subkutan vorhanden zu sein. Wo es eventuell fehlt, wird es unterstellt! Richard Wagner verfasste 1850 einen Aufsatz mit dem Titel „Kunst und Klima“. Oha! Beim Lesen stellt man allerdings schnell fest, dass Wagner das Klima für seine Kunst als relativ unwichtig einschätzte, wiewohl er die moderne Zivilisation als Grund allen Übels erkennt. Da lag er nicht falsch.
Klimaschutz im Kulturbetrieb ist vielschichtig und komplex. Das erfordert Orientierung. Die lieferte die Tagung „Klima – Wandel – Kultur“, die Mitte September vom Kammerensemble Konsonanz im Theater am Leibnitzplatz in Bremen initiiert wurde. Eine Tagung, die – so die Veranstalter – „Kulturschaffende aller Sparten, technische und Verwaltungs-Mitarbeiter:innen von Kulturinstitutionen, (Umwelt- und Kultur-)Politiker:innen, kommunale (Kultur-)Verwaltung, Ins­titutionen von Kulturförderung (z. B. Stiftungen) sowie sonstige Interessierte“ vernetzen sollte und mit Vorträgen u. a. von Antje Boetius vom Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung begann. Auch Nicola Bramkamp, künstlerische Leiterin des Vermittlungsformats „Save the World“, Sylvia Amann, internationale Beraterin im Bereich Kultur- und Kreativwirtschaft, sowie Wiebke Arndt, Direktorin des Bremer Überseemuseums und Präsidentin des Deutschen Museumsbundes, trugen zum notwendigen Background bei, hinzu kamen zahlreiche Workshops.
Dabei ging es den Veranstaltern um Verantwortung, wie Claudia Beißwanger vom Management des Kammerensembles Konsonanz betont: „Viele Kulturinstitutionen sehen sich in einer großen gesellschaftlichen Verantwortung und reklamieren für sich, am gesellschaftlichen Diskurs aktiv mitzuarbeiten und diesen positiv zu prägen. Zu dieser Verantwortung gehört im besten Fall ein Bekenntnis zu mehr Klimaschutz.“
„Viele Menschen kennen die Fakten hinter dem Klimawandel. Diese Tatsachen bleiben jedoch oft abstrakt und lösen wenig Veränderung im persönlichen Verhalten aus“, sagt Nicola Bramkamp. „Künstlerisch-ästhetische Narrative können helfen, abstrakte wissenschaftliche Daten zugänglicher zu machen: Künstlerische Ansätze vermitteln nicht nur funktionale Informationen, sondern auch ästhetische und emotionale Inhalte.“ Das ist in der Tat ein spannender Ansatz: komplexe künstlerische Aktivitäten zu verbinden mit ähnlich komplexen wissenschaftlichen Erkenntnissen. „Die Komplexität wissenschaftlicher Daten kann damit heruntergebrochen werden ohne allzu starke Vereinfachung“, so Bramkamp. „Solche Ansätze können ein wirksames Instrument sein, mehr Menschen dazu zu bewegen, unsere Welt für zukünftige Generationen aktiv zu schützen.“ Daher nutzen renommierte Wissenschaftler eine ästhetische Brücke, um komplexes Wissen leichter zugänglich zu machen, sagt Bramkamp und nennt als Beispiele Antje Boetius’ Wissenschaftskommunikation über Musik und Theater und das Bremer Fraunhofer-Institut MEVIS, das medizinische Modellierung in Zusammenarbeit mit audiovisuellen Künsten – etwa dem renommierten Festival Ars Electronica – erstellt.
Neue, innovative Konzertformate werden entwickelt, um darüber gesellschaftlich relevante Themen zu platzieren. Aktuell setzt das Kammerensemble Konsonanz das Projekt The [Uncertain] Four Seasons um, das den Klimawandel mithilfe von Musik und bildlicher Visualisierung deutlich macht. Auf der Basis von Klimavorhersagen für das Jahr 2050 werden Vivaldis Vier Jahreszeiten verändert. Der Klimawandel, der bis 2050 vermutet wird, soll hörbar gemacht werden. Ganz so neu ist die Idee nicht. 2019 initiierte das NDR Elbphilharmonie Orchester etwas Ähnliches, ausgehend von der Idee, dass Antonio Vivaldi 1725 ein musikalisches Abbild des Klimas vor 300 Jahren komponiert habe, das auf seinen Erlebnissen und Erkenntnissen der damaligen Jahreszeiten beruhte. Über Algorithmen, die mit künftigen Klimadaten gespeist werden, wird heute ein neues Werk erschaffen.
Diese Denkansätze sind spannend, wie die Tagung gezeigt hat. Es ist in Bremen gelungen, zahlreiche vor Ort agierende Organisationen zur Zusammenarbeit zu bewegen. Die Bremer Shakespeare Company präsentierte ihr interessantes Stück 99 Schritte zum Meer, in dem es um den vom Menschen gemachten Klimawandel, die Schuld und die daraus resultierende Verantwortung geht. Die Bremer Philharmoniker, die Gründungsmitglied der deutschlandweiten Klimaschutz-Initiative „Orchester des Wandels“ sind, stellten die Projekte ihrer Klimagruppe vor. Zudem behandelte die Tagung auch wichtige Fragen der Betriebsökologie.
In Bremen ist ein aktives Netzwerk entstanden. Mit musikalisch-kreativen Mitteln wird die „Green Culture Konferenz Bremen“ des Kammerensembles Konsonanz im Juni 2023 von den Bremer Philharmonikern fortgesetzt. Ein Wochenende lang werden sich die Musiker dann mit Gästen und Kooperationspartnern dem Thema Klimaschutz und Nachhaltigkeit widmen. Das Motto: „Utopien? Visionen!!“ Geplant sind Konzerte und Aktionen mit den Bremer Philharmonikern, der Musikwerkstatt, dem Jugendsinfonieorchester Bremen, dem Jungen Theater Bremen, der Helmholtz-Klima-Initiative und prominenten Gästen, z. B. der Cellistin Tanja Tetzlaff. Eingebunden ist auch das Geomar-Institut Kiel. Auf dem Gelände des Tabakquartiers, dem Sitz der Bremer Philharmoniker, wird ein „Marktplatz der Möglichkeiten“ veranstaltet werden, wo man sich an den Ständen der regionalen Klimaschutz- und Umweltverbände informieren kann.