Reither, Saskia

Kultur als Unternehmen

Selbstmanagement und unternehmerischer Geist im Kulturbetrieb

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Springer, Wiesbaden 2012
erschienen in: das Orchester 05/2013 , Seite 67

Dieses Buch, wenngleich broschiert, ist ein echtes Schwergewicht. Wer glaubte, er würde hier den soundsovielten Ratgeber zum Selbstmanagement in den Händen halten, wird angenehm enttäuscht. Saskia Reither betrachtet das Selbstmanagement aus der Vogelperspektive des sehr theoretischen, aber wichtigen politologischen und gesellschaftswissenschaftlichen Diskurses. Ihre Frage: Welche Folgen hat „self governance“ (Selbstverwaltung), unter deren Diktat alles und jeder im Sinn von Effizienz „optimiert“ wird, für Künstler? Die Kronzeugen der Kritik sind die Theoretiker der französischen Schule, z.B. Foucault, die sich seit den 1970er Jahren über den Begriff der Herrschaft Gedanken gemacht haben. Die Autorin stellt dar, wie das, was heute als „governance“-Ideal durch die Arbeitswelt geistert, Spielart des neoliberalen Zeitgeistes ist. Und sie beschreibt Ansprüche dieses Marktes an die Künstler. Interessanterweise gehören manche Vertreter der Kulturpolitik offenbar zum Kreis der neoliberalen Theoretiker, wie Reithers Zitate belegen. Den Begriff des Künstlers, wie er aus dem 19. Jahrhundert stammt (das freie Genie), belegt sie zwar nicht mit historischen Publikationen, aber sie nutzt ihn als Gegenmodell, um zu zeigen, wie sehr sich die Rolle des Kunstschaffenden in der heutigen Gesellschaft verändert hat.
In dem Buch spürt die Autorin dem Alltag der Künstler bis in die Verästelungen der sogenannten Kulturwirtschaft nach. Und wenn sich die Statistiken über den Aufstieg der Kulturwirtschaft noch so schön lesen mögen: Saskia Reither kritisiert, dass es sich bei den meisten Jobs doch um prekäre und projektbezogene Tätigkeiten handelt. Das ist nichts anderes als Selbstausbeutung, aber geadelt und getarnt als selbstbestimmtes Arbeiten für die Kunst. Natürlich kritisiert sie auch diesen Zeitgeist, um am Ende eine neue Form der Zusammenarbeit und der Selbstorganisation in „kollektiven Arbeitsprozessen“ als Alternative ins Feld zu führen. Dafür nennt sie Erfahrungen aus den unterschiedlichsten Projekten, z.B. aus dem Literaturbetrieb. Um ihren kritischen Ansatz zu untermauern, führt sie den Säulenheiligen des zivilen Ungehorsams („civil disobedience“), den Amerikaner Henry David Thoreau, ins Feld. Die Literaturliste ist so interessant wie umfangreich.
Eine Leseempfehlung ist dieses Buch also für alle, die sich fundiert darüber Gedanken machen wollen, wie die Arbeitsprozesse eines freischaffenden Künstlers heute ein Teil des neoliberalen Zeitgeistes geworden sind. Die Kritik an diesem Zustand wird seit Längerem laut. Immer öfter wird konstatiert, dass die einst propagierten „Ich-AGs“ ausgedient haben und dass die guten alten Formen von Gemeinsamkeit und Team-
arbeit (vor allem bei künstlerischen Prozessen) so schlecht nicht sind.
Gernot Wojnarowicz