Igor Kuljerić / Jakov Gotovac

Kroatisches glagolitisches Requiem / Himna Slobodi

Chor des Bayerischen Rundfunks, Münchner Rundfunkorchester, Ltg. Ivan Repušić

Rubrik: CDs
Verlag/Label: BR Media
erschienen in: das Orchester 02/2021 , Seite 69

Zugegeben: Kroatische Musik fristet im aktuellen Musikbetrieb eher ein Schattendasein. Zu Unrecht, wie eine Neuveröffentlichung von BR Klassik belegt, die der Bayerische Rundfunk in Zusammenarbeit mit der Stadt Zagreb, der Konzerthalle Vatroslav Lisinski und dem Kulturministerium der Republik Kroatien produziert hat.
Der kroatische Komponist und Dirigent Igor Kuljerić (1938-2006) schrieb das Glagolitische Requiem in einer Zeit, in der das Land nach blutigen Auseinandersetzungen seine Unabhängigkeit von Jugoslawien erkämpft hat. Das Werk ist zugleich ein musikalisches Bekenntnis für die Kulturtradition des Heimatlandes. Kuljerić verbindet die römisch-katholische Liturgie der Totenmesse mit der altkirchlichen Tradition des östlichen Mittelmeerraumes. Die Verbundenheit mit den slawischen Wurzeln manifestiert sich insbesondere durch die Verwendung der Glagoliza, der ältesten slawi-schen Schrift.
Das Requiem orientiert sich formal am überkommenen Schema der lateinischen Totenmesse, vertont in sechs wiederum gesplitteten Teilen. Schon gleich legt der Introitus mit Glockenklängen über deklamierenden Chorrezitativen die Grundlage für eine düstere Stimmung, in der sich flehendes Klagen zunehmend verdichtet.
Ivan Repušić, seit der Spielzeit 2017/18 Chefdirigent des Münchner Rundfunkorchesters, formt ein eindringliches Farb- und Ausdrucks-Tableau mit diesem Ensemble und dem sehr präsent singenden Chor des Bayerischen Rundfunks, das von gespenstischen Unisono-Passagen im Pianissimo bis zu machtvollen Chor- und Orchester-Ausbrüchen reicht, mit starken Crescendo-Wirkungen und Kontrast-Effekten durchsetzt.
Die glagolitischen Texte hat der Komponist in jeweils kurzen, individuell gefärbten Teilen umgesetzt: in einer gemäßigt modernen Tonsprache, die sich durch originelle Orchestrierung auszeichnet und die gelegentlich an Orff’sche Techniken der rhythmischen Patterns erinnert.
Ein vorzügliches Solisten-Quartett komplettiert das Interpretenensemble der Liveaufnahme vom Februar 2020 in München – Soli und Chor sind dabei eng verzahnt, oft responsorisch und ohne große Solopartien eingesetzt.
Igor Kuljerić wollte mit seiner Vertonung der Totenmesse „etwas zum Klingen bringen“, bekannte er, „das ich schon in meiner Jugend gehört und von da an in mir getragen habe, als die glagolitischen Riten ein wundersames Echo in mir fanden.“ In der Verbindung mit überkommener römisch-katholischer Tradition ist daraus ein spannendes und überaus gelungenes Experiment geworden.
Die Studioaufnahme der Himna Slobodi, der Hymne an die Freiheit (auch Friedenshymnus genannt), des kroatischen Landsmannes Jakov Gotovac (1895-1982) rundet die CD stilvoll ab – eine packende Neuveröffentlichung des Bayerischen Rundfunks, die den Blick auf spannende zeitgenössi-sche Kirchenmusik lenkt.
Wolfgang Birtel