Enjott Schneider

Krasnoyarsk Counterpoints/ Spirits of Siberia/ Leporello & Giovanni

Reinhold Friedrich (Flügelhorn, Trompete & Piccolo), Artem Chirkov (Kontrabass), Mikhail Dzyudze (Bassbalalaika) / Siberian Percussion, Krasnoyarsk Chamber Orchestra, Ltg. Martin Baeza- Rubio / Siberian State Symphony Orchestra, Ltg. Vladimir Lande

Rubrik: CDs
Verlag/Label: Wergo WER 5126-2
erschienen in: das Orchester 09/2020 , Seite 93

Auf einer horizontalen Linie zwischen dem Ural-Gebirge und dem Pazifik liegt Krasnoyarsk etwa in der Mitte. Mit Bezug auf diese geografischen Koordinaten hat der deutsche Komponist Enjott Schneider sich “Spirits of Siberia” genähert. Und zwar durch eine Suite, die wie eine Klangreportage einige Charakteristika der Umgebung evozieren. Wobei Reinhold Friedrich, dem das Werk gewidmet ist, seine Instrumente wie ein Erzähler verwendet: Dunkle Flügelhorn-Register, die sich gelegentlich zu hellen Sphären aufschwingen oder auch im Dialog mit dem Kammerorchester zerfasern, werden eins mit der Natur, unergründlich und geheimnisvoll.
Eine elegische Trompeten-Kantilene erinnert daran, dass wegen politischer Deportationen der Jenissei ein „Fluss der Tränen“ genannt wird; tribale Rhythmen, knappe So – lo-Motive und Marimba-Tremoli lassen die „Birken in der endlosen Taiga tanzend“ erscheinen; elegant schwirrt die Piccolo-Trompete um die mystischen „Felsenpfeiler im Stolby-Gebirge“; perkussive Spannung kennzeichnet den aufmunternden Vokal-Ritt auf den kultisch maskierten „Pferden“ und gedämpfte Trompeten-Timbres begleiten die meditative „Schamanenreise“ zu einer pagan-triumphalen Coda. Während das Kammerensemble wechselnde pittoreske Klangkulissen bereit hält, erweist sich Friedrich in allen Szenen stets als intonationssicherer und expressiver Solist.
Ein Pendant zu diesen Naturund Lebens-Impressionen ist die fiktive Bühnenwelt im Doppelkonzert “Leporello & Giovanni”, eine Reverenz vor Mozarts Oper “Don Giovanni”. Die entsprechenden Rollen des spannungsgeladenen Männer- Duos hat Enjott Schneider auf zwei Tieftöner übertragen: am Kontrabass Artem Chirkov und an der Bassbalalaika Mikhail Dzyudze, beide herausragende Virtuosen, die mit Vergnügen ihre Animositäten bei diesem satirischen Spiel austragen. Gleich im Prolog begegnen sich nörgelnder Bass con arco und flinke Balalaika-Pizzicati vor pompösem Orchestermotiv. Übertreibungen sind dabei konstitutiv, etwa bei den Bass-Phrasierungen der Arie „Là ci darem la mano“. Verschleppte Rhythmen bringen die „Höfische Welt – Aus dem Ruder“ und geschmeidige Bass-Glissandi schmücken „Giovannis Serenade“. Geschickt sind Melodieelemente und Themen aus der Oper in solche parodistischen Rivalen-Diskurse eingeflochten, sodass die Reibungen von Verfremdung und Original die kontrastiven Temperamente (galantbrutal/ frech-impulsiv) der Akteure plastisch zur Geltung bringen. Chirkov und Dzyudze gestalten ihre verzwickten Partien dabei en bravura.
Somit sind die “Krasnoyarsk Counterpoints”, womit zwei Festivals der drittgrößten Stadt in Sibirien Enjott Schneider beauftragt hatten, bemerkenswerte CD-Premieren, die sowohl (hier) unbekanntes Territorium kenntlich machen als auch beachtliches symphonisches Niveau zeigen.

Hans-Dieter Grünefeld