Trappe, Hans-Joachim / Wolfgang Mastnak
Krankheit – Sphäre des Schaffens
Komponisten im Spiegel medizinischer Forschung
Inwieweit wirken sich Krankheiten und Lebenskrisen auf musikalische Schaffensprozesse aus? Inwieweit ist es für Interpretation und Verständnis eines Werks von Bedeutung, Kenntnis über die gesundheitlichen, wirtschaftlichen, psychosozialen Lebenssituationen der jeweiligen Komponisten zu haben?
Der Kardiologe und Organist Hans-Joachim Trappe sowie der Musikpädagoge, Musiktherapeut und Pianist Wolfgang Mastnak regen zur Reflexion über diese Fragen an. Sie stellen die Biografien und Krankheitsbilder von zehn Komponisten vor das mag zunächst als nichts Neues erscheinen, denn über fast alle hier vorgestellten Künstler liegt bereits eine Reihe medizinbiografischer Betrachtungen vor. Doch dieses Buch eröffnet dem Leser wertvolle neue Perspektiven zu den Komponisten Bach, Mozart, Beethoven, Schubert, Chopin, Schumann, Bruckner, Satie, Reger und
Ravel. Denn der Fokus liegt hier neben der medizinischen Analyse und Interpretation physischer und psychischer Erkrankungsbilder auf deren Bezug zur Entstehung und Kompositionsweise einzelner Werke sowie auf dem Gesamtkontext von Lebensumständen und kompositorischem Schaffen. Also Musikwissenschaft und Medizin im intensiven Dialog. Zudem werden zahlreiche neue, hochinteressante Forschungsarbeiten zitiert, die wiederum neue Interpretationen der bislang diskutierten Krankheitsprozesse erlauben. So werden manche der überlieferten Hypothesen durch neue Studien widerlegt, andere jedoch können bestätigt werden.
Angenehm ist die defensive Herangehensweise, wenn es um Diagnosestellungen geht. Angesichts der limitierten Möglichkeiten der Medizin zum Zeitpunkt des Lebens und Sterbens der beschriebenen Komponisten und unvollständiger Überlieferungen verweisen die Autoren an mehreren Stellen darauf, dass endgültige Aussagen nicht möglich sind und rückblickend gestellte Diagnosen im Bereich der Spekulation lägen. Stattdessen stellen sie die gesammelten Quellen in ausgewogener Weise zur Diskussion, was selbst bei den in der Vergangenheit so vielfach thematisierten Krankheiten Mozarts und Beethovens ausgezeichnet gelingt.
Das Layout des Buchs macht das Lesen angenehm, sprachlich hätte man sich stellenweise einige ergänzende Begriffserläuterungen gewünscht, dennoch liest es sich auch für Medizinlaien insgesamt sehr flüssig und vor allem ausgesprochen spannend. Es ist zweifellos gelungen, den großen Bogen zu spannen und den Leser von den eingangs erwähnten Wechselbeziehungen zwischen Krankheit, psychosozialer Situation und künstlerischem Schaffen zu überzeugen. Hans-Joachim Trappe und Wolfgang Mastnak ist ein sehr lesenswertes Buch gelungen mit einer überzeugenden, stringenten Ergänzung der bisherigen Literatur. Es richtet sich an alle Interessierten aus den Bereichen Musik, Medizin, Psychologie und darüber hinaus!
Maria Schuppert