Kalbhenn, Dorothee

Konzertprogramme

Das Kernprodukt als Chance und Herausforderung für Konzerthäuser

Rubrik: Bücher
Verlag/Label: Peter Lang, Frankfurt am Main 2011
erschienen in: das Orchester 03/2012 , Seite 68

Häufig ist in den vergangenen Jahrzehnten der „Tod der Klassik“ prophezeit worden. Die Prophezeiungen bezogen sich dabei sowohl auf das älter werdende Publikum als auch auf angeblich überholte Konzertformate und -rituale. Dieser Kulturpessimismus mag zwar gerade wieder Konjunktur haben, letztlich gerechtfertigt ist er nicht. Dies zeigt auch die vorliegende kulturwissenschaftliche Analyse.
Zunächst betrachtet die Autorin kurz die Entwicklung des Konzertwesens in den vergangenen Jahrhunderten, um sich dann mit verschiedenen Publikumsstudien, konkurrierenden Freizeitangeboten, aber auch den Chancen von Musikvermittlung und Kulturmarketing zu befassen. Detailliert werden die Potenziale des „Kernprodukts“ Konzert untersucht, mit dem Ergebnis, dass der Schlüssel für die Zukunftsfähigkeit in der Konzertprogrammierung selbst liegt. Ausgehend von dieser Erkenntnis untersucht die Autorin diverse Konzertprogramme seit dem 18. Jahrhundert; kleinere Inhalts- und Schreibfehler (z.B. Elias statt Messias) seien insoweit nachgesehen, da sie die Kernaussagen nicht beeinflussen. Die rhetorische Frage „Konzertprogramme nach Schema F – und keine Alternative in Sicht?“ wird durch die Darstellung alternativer Formate und Programme einschlägig und positiv beantwortet. Mit einem Zwischenfazit und Ausblick endet der erste, eher kulturtheoretische Teil des Buchs.
Im Praxisteil folgt die Untersuchung und Analyse ausgewählter Konzerthäuser bzw. Orchester (Gewandhaus zu Leipzig, Kölner Philharmonie, Elbphilharmonie Hamburg) und deren Programmangebote. Neben den eigentlichen Programmen werden auch die Motive der Planer in Form von Experteninterviews hinterfragt. Es wird deutlich, unter welchen künstlerischen und strategischen, inhaltlichen und vermarktungstechnischen Aspekten Programmangebote entwickelt und platziert werden. Dabei werden auch Bewertungskriterien des Deutschen Musikverleger-Verbands (DMV) berücksichtigt, der jährlich das „beste“ Konzertprogramm in Deutschland auswählt und prämiert.
Alle diese Ansätze fließen in das Schlusskapitel ein: Wer hat die Gestaltungshoheit über die Programme? Welche Organisationsstrukturen sind zu berücksichtigen? Geht die Planung vom Werk oder vom Künstler aus? Welche Dialoge und Impulse sind möglich? Welche Rolle spielt die Musikvermittlung? Wie wird das Publikum einbezogen? Diese und zahlreiche weitere Fragestellungen ergeben letztlich eine wertvolle Checkliste für jeden Programmverantwortlichen. Hilfreich ist auch der Anhang, der eine Analyse der Strukturen der untersuchten Konzerthäuser hinsichtlich der unterschiedlichen Konzertformate und der Entstehungszeit der aufgeführten Werke enthält.
Wer im Theater- und Orchestermanagement für die Konzertplanung und Formatentwicklung verantwortlich ist, findet in diesem Buch eine wichtige Arbeitshilfe.
Gerald Mertens