Hans-Werner Henze
Konzertmusik
für Violine solo und kleines Kammerorchester, Klavierauszug
Ein wenig still ist es geworden um Hans Werner Henze, einen der ganz großen deutschen Komponisten der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Gut zehn Jahre nach seinem Tode sind Aufführungen seiner Werke rar. Es ist ein eigentümliches Phänomen, dass Komponisten, Dichter, Maler, sobald sie nach ihrem Tode die Tagesaktualität einbüßen, häufig als überholt, ja verstaubt empfunden werden – bis man ihre Qualität Jahrzente später wiederentdeckt. Hans Werner Henze hat ein in jeder Hinsicht beeindruckendes Œuvre hinterlassen. Man wünschte sich leise, dass gelegentlich eine seiner immerhin zehn Sinfonien gespielt werden möge.
Stilistisch ist Henzes Musik in ihrer extremen Vielfältigkeit kaum zu fassen. Die ideologischen Grabenkämpfe der verschiedenen Strömungen und Schulen der musikalischen Avantgarde waren ihm zuwider, er verwahrte sich leidenschaftlich gegen jedwede Vereinnahmung und die postulierten Regeln, wonach „fortschrittliche“ Neue Musik unbedingt seriell, dodekaphonisch oder wie auch immer determiniert zu sein habe, empfand er als Einengung der eigenen Kreativität. So findet sich bei ihm stilistisch von allem etwas.
Für Geige als Soloinstrument hat Henze gerne geschrieben. Es gibt aus seiner Feder drei Violinkonzerte, zahlreiche Werke für Violine solo, darunter eine Solosonate, eine Violinsonate und eine Sonatine (beides mit Klavier) und anderes mehr.
Bei Schott jetzt erstmalig erschienen ist die Konzertmusik für Violine solo und kleines Kammerorchester. Henze komponierte das dreisätzige Stück 1943/44 als 17-jähriger Student an der Staatsmusikschule Braunschweig für den Geiger Kurt Stier. Zur Aufführung gelangte es nicht mehr, da die jungen Musiker zum Arbeits- bzw. Kriegsdienst eingezogen wurden. Die Partitur verblieb bei Kurt Stier, dessen Witwe sie 2017 der Hans-Werner-Henze-Stiftung vermachte. Ihre Uraufführung erlebte die Konzertmusik erst am 25. Juni 2021.
Sie ist das Werk eines offensichtlich hochbegabten, natürlich noch nicht ausgereiften, jungen Komponisten. Im Ganzen tonal gehalten, erinnert hier zudem manches an Hindemith, so die Aufschichtung von Quarten und die sinnlich-schöne Melodik des 2. Satzes. In dieser Musik offenbart sich bereits Henzes künstlerisches Grundanliegen. Er möchte seine Zuhörer ganz direkt ästhetisch-emotional erreichen. Die kompositorischen Mittel, die er einsetzt, werden sich bald ändern, nicht jedoch ihre dienende Funktion als Vehikel gesamtkompositorischer Fantasie und Inspiration.
Der Violinsolopart ist „für die Geige, nicht gegen sie“ geschrieben, ohne größere Schwierigkeiten angenehm und problemlos zu spielen, ohne virtuosen Anspruch, aber mit viel Gespür für Farben und für die natürlichen klanglichen Vorzüge des Instruments, durchaus geeignet auch für sehr junge Solist:innen.
Herwig Zack