Konzert

Rubrik: Noten
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In der Schott-Reihe „Musik unserer Zeit“ sind in gut lesbarem DIN A4-Format zwei neue Studienpartituren mit je einem Klavierkonzert von Hans Werner Henze und György Ligeti erschienen, die zu einem nahe liegenden Vergleich reizen: ein Jugendwerk des 24-jährigen Henze (1. Konzert für Klavier und Orchester aus dem Jahr 1950) und ein Spätwerk des 65-jährigen Ligeti, betitelt Konzert für Klavier und Orchester, komponiert von 1985 bis 1988. Obwohl die Geburtsjahre beider Komponisten nur drei Jahre auseinander liegen (Henze 1926, Ligeti 1923), spiegelt sich in ihnen Ausgangs- und bisheriger Endpunkt der musikalischen Entwicklung in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts wider und lässt die nachdenkenswerte Überlegung „sub specie aeternitatis“ zu, wie kurzlebig doch die Epochen der Dodekafonie und Serialität waren (die in beiden Werken nahezu ausgeklammert bleiben).
Bei Henze spürt man zwar schon die zwölftönigen Einflüsse der Schönberg-Schule und die seines Lehrers Wolfgang Fortner, denen er aber noch unbekümmert im Klavierpart aller drei Sätze es- und h-Moll Akkorde gegenüberstellt, sodass man eigentlich von einem quasi „vor-dodekafonischen Werk“ sprechen kann.
Ligeti dagegen hat seine jugendliche Texturen-Technik (unter Überspringung des Serialismus) weiterentwickelt und in seinem Spätwerk mit der rhythmus-betonten Bartók-Technik und den spezifischen Klavier-Effekten eines Nancarrow verwoben. In seinem Altersstil setzt er – oft unter paralleler Verstärkung von Schlaginstrumenten – den Klavierpart meist perkussiv ein, sodass ein sehr trockener Klang zustande kommt, dem er dann rasant gespielte Nancarrow-Effekte gegenüberstellt, die fast einen neo-impressionistischen Eindruck hervorrufen.
Übrigens ist beiden Klavierkonzerten gemeinsam, dass sie später erweitert wurden: Henze hat eine (fehlende) Solokadenz hinzugefügt (die im Anhang der Partitur wiedergegeben wird). Ligeti hat (dem wohl zu kurz geratenen) dreisätzigen Klavierkonzert zwei weitere Sätze später hinzugefügt. Sie wurden zwei Jahre später 1988 mit dem gleichen Klaviersolisten Anthony di Bonaventura in Wien uraufgeführt, dem er wohl aus Dankbarkeit für die Bewältigung des extrem schwierigen Soloparts das Konzert auch gewidmet hat. Hier, im angefügten 4. Satz, kommt auch endlich eine Art Dialog zwischen solistischem Klavierpart und Orchester – also eine Art Zwiesprache – zustande, während in den vorausgehenden drei Sätzen die nahtlose Verzahnung zwischen beiden Parts so perfekt ist, dass der Solopart trotz immenser Virtuosität fast zu einem obligat geführten Orchesterinstrument degradiert wird. Am Ende des rasanten Schlusssatzes kommt der Pianist – gepaart mit dem Xylofon – dann doch noch zu einer kurzen solistischen Kadenz im ausklingenden pianissimo-Bereich. Er wird aber sogleich reglementiert durch die notabene-Bemerkung, dass „das richtige Tempo erreicht wurde, wenn der Satz ohne Schlusspause nicht länger als 3’ dauert“.
Beide Schott-Ausgaben sind sorgfältig redigiert, doch fällt beim Vergleich auf, dass die (ältere) Henze-Partitur noch handschriftlich kalligrafiert wurde, während die Ligeti-Partitur im Notencomputer-Verfahren hergestellt ist und alle textlichen Zusatzangaben in deutscher und englischer Sprache erscheinen. Eine Unsitte hat wohl der Notencomputer zustande gebracht (denn ich kann mir nicht vorstellen, dass dies im Sinne von Ligeti war): Drei- und vierfach übereinandergetürmte Akzentzeichen (eines dürfte bei zusätzlicher ffff-Angabe wohl genügen) erschweren die Lesbarkeit der sonst minutiös ausgewogenen Notation.
Noch eine Schlussbemerkung: Die Ligeti-Partitur hat 139 Partiturseiten (bei einer Aufführungsdauer von 24’), die Henze-Partitur 63 Notenseiten (bei einer Aufführungsdauer von 20’), was Rückschlüsse auf eine immer genauer werdende Notationstechnik bei fortschreitendem Alter zulässt.
Rudolf Lück