Beethoven, Ludwig van

Konzert Nr. 3 in c

für Klavier und Orchester op. 37, hg. von Jonathan Del Mar, Partitur und Klavierstimme / Klavierauszug / Critical Commentary

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Bärenreiter
erschienen in: das Orchester 12/2014 , Seite 71

Beethovens Symphonien und Konzerte sind im Prinzip das zentrale Repertoire unseres Konzertlebens und wurden seit ihrer Entstehung unzählig viele Male musiziert und analysiert. Und dies, so möchte man bei oberflächlicher Erwägung annehmen, auf der Basis von Beethovens authentischem Notentext. Doch das ist ein grober Irrtum. Bis vor gar nicht allzu langer Zeit wurden die Werke des Bonner Meisters aus – sagen wir einmal dezent – durchaus nicht unanfechtbaren Ausgaben gespielt. Die Beethoven-Philologie ist ein Problem. Bei den Symphonien gab es gelegentlich schon früher ambitionierte Ausgaben, zum Beispiel die der fünften Symphonie von Peter Gülke. Die Probleme waren nicht unbekannt. Doch erst die in den 1990er Jahren vorgelegte kritische Ausgabe des Bärenreiter-Verlags durch den englischen Musikwissenschaftler Jonathan Del Mar hat für alle Symphonien eine adäquate philologische Basis geschaffen. Kein Wunder, dass sie in der Praxis schnell Einzug hielt. Unter anderem bei den bedeutenden CD-Gesamtaufnahmen von David Zinman, John Eliot Gardiner, Claudio Abbado, Simon Rattle oder Roger Norrington fand sie Verwendung. Weitere Beethoven-Ausgaben von Jonathan Del Mar folgten, auch solche der Klavierkonzerte 1 und 2.
Nun liegt eine Urtext-Ausgabe des dritten Klavierkonzerts in c-Moll op. 37 vor. Auch sie wirft einen neuen notentextlichen Blick auf das scheinbar so wohlbekannte und gerne gespielte Stück. Es ist zu wünschen, dass die Ausgabe von nun an in der Konzertpraxis benutzt wird. Sie ist bei aller wissenschaftlichen Gründlichkeit und Detailgenauigkeit sehr benutzerfreundlich und zudem an allen strittigen Stellen nicht auf eine Lösung fixiert. Im Gegenteil, der Herausgeber lädt im Vorwort dazu ein, sich bei heiklen Takten selbst Gedanken zu machen. Dazu hat er den kritischen Bericht, der nur in englischer Sprache vorliegt, mit einigen Anhängen versehen, die die betreffenden Passagen, bei denen die Quellen mutmaßliche Fehler enthalten oder es Zweifelsfälle gibt, leicht auffinden lassen.
Als Quellen nutzte Jonathan Del Mar Beethovens Autograf von 1800 bis 1803 und die Originalausgabe in Stimmen aus dem Jahr 1804. Eine Partitur erschien erst nach Beethovens Tod, die Kadenz wurde gar erst
in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts publiziert. Die vorliegende Ausgabe ist deshalb die erste seit 210 Jahren, die die Solostimme im originalen Umfang wiedergibt, so wie er auf Beethovens Klavier damals spielbar war. Heute üblich sind an einigen Stellen Umschreibungen mit höheren oder tieferen Tönen, die Beethoven aber erst in seinem Spätwerk mit neueren Instrumenten verwendet hat. Beethoven hat sich allerdings, wie der Herausgeber belegen kann, gegen eine Nachbearbeitung seiner früheren Werke ausgesprochen. Auch in Fragen der Artikulation kehrt die Ausgabe zu Beethovens Usus zurück und liefert als eindrucksvolle philologische Leistung eine Grundlage zu einer spannenden Neuentdeckung dieses Konzerts.
Karl Georg Berg