Schumann, Robert / Paul Hindemith

Konzert für Violine und Orchester d-Moll

Einrichtung der Solostimme von Paul Hindemith, Solostimme

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Schott, Mainz 2013
erschienen in: das Orchester 07-08/2013 , Seite 69

Macht die Veröffentlichung einer Bearbeitung heute Sinn, da Werktreue und historische Aufführungspraxis einen hohen Stellenwert haben? Gewiss, es gibt so hervorragende Einspielungen des d-Moll-Violinkonzerts von Robert Schumann wie die von Gidon Kremer und Nikolaus Harnoncourt oder die von Henryk Szering und Charles Reiner. Aber noch immer reißen sich die Virtuosen nicht um dieses Werk, da es aus dem Rahmen des romantischen Solokonzerts herausfällt. Die Violine dominiert hier nicht über das Orchester, sondern musiziert gleichsam in der Mitte des Orchesters. Die Motive der Solostimme haben oft nicht eine große virtuose Geste, wollen nicht mit Technik glänzen, sondern sind kammermusikalisch orientiert. Eine ideale Aufführung dieses Werks erfordert ein Zusammenspiel zwischen Orchester und Solist, das der Feinheit, dem Detailreichtum und der Differenzierung eines Streichquartetts entspricht. Doch das steht der Orchesterwirklichkeit und der Erwartungshaltung des Publikums heute genauso entgegen wie zu Joseph Joachims Zeiten, der es für den Konzertbetrieb abgelehnt hatte.
Deshalb ist Hindemiths Bearbeitung ein Weg, um Schumanns Violinkonzert öfters auf das Podium zu bringen. Hindemith ging sehr feinfühlig vor, versuchte, die Substanz der Solostimme nicht anzutasten. In den meisten Fällen änderte er nur die Tonlage, setzte die Solostimme um eine Oktav höher. Dadurch wirkt die Solovioline brillant, strahlend und dominiert über das Orchester. Hindemith vergrößerte beispielsweise durch Akkordspiel das Volumen des Violinklangs. Als virtuos violaspielender Praktiker wusste er sehr gut, wie ein effektvoller Klang hervorgebracht werden kann. Schumanns Violinkonzert wird so zum einen leichter spielbar, zum anderen wirkt der Violinklang brillanter und mächtiger. Im Wesentlichen nur bei den Schlüssen der schnellen Sätze änderte Hindemith die motivische Gestaltung, um eine dem Solokonzert des 19. Jahrhunderts entsprechende Dramaturgie zu erreichen. Schumanns Melodiebildung ist auch dort kleinteilig, während Hindemith großflächige Steigerungen schafft, um eine mitreißende Schlusswirkung hervorzubringen.
Hindemiths Bearbeitung „rettet“ Schumanns Violinkonzert für das „Solokonzert“, wie es seit dem 19. Jahrhundert gepflegt wird, das technische Virtuosität und den dominierenden Ton des Solisten in den Vordergrund stellt. Auch wenn die Substanz von Schumanns Werk dabei nur an wenigen Stellen verändert wird, entsteht doch etwas anderes: Der introvertierte und in die Tiefe lotende, dem gängigen Virtuosenkonzert entgegen gesetzte Charakter von Schumanns Spätwerk tritt in den Hintergrund. Aber im heutigen Konzertbetrieb ist für Tiefe zumeist noch weniger Raum als zu Joachims Zeiten. Deshalb ist die Veröffentlichung von Hindemiths Bearbeitung wichtig, um dieses Werk für unser Musikleben zu erhalten.
Franzpeter Messmer