Graun, Johann Gottlieb

Konzert für Viola, Streicher und Basso continuo Es-Dur

Paritur/Klavierauszug und Solostimme/Stimmsatz

Rubrik: Noten
Verlag/Label: Ortus, Beeskow 2015
erschienen in: das Orchester 01/2017 , Seite 60

Unter Friedrich dem Großen scheint eine gewisse Bratschen-Euphorie geherrscht zu haben, denn im Notenarchiv der Singakademie zu Berlin befinden sich nicht weniger als zwanzig Kompositionen für Viola aus der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts. Mit dem Konzert für Viola Es-Dur von Johann Gottlieb Graun wurde nun einer dieser Schätze in einer vorbildlichen Edition gehoben. Ob freilich er der Komponist ist, kann nicht mit letzter Sicherheit gesagt werden. Es könnte auch sein Bruder, der preußische Hofkapellmeister Karl Heinrich Graun sein. Doch da Karl Heinrich hauptsächlich Opern komponierte und Johann Gottlieb Konzertmeister war, ist es wahrscheinlicher, dass Letzterer der Autor ist.
Dieses Konzert bietet virtuosen Violaspielern eine dankbare Aufgabe. In den Ecksätzen kommt der Klangcharakter der Bratsche – in der Tiefe wie ein Bass und in der Höhe wie ein Sopran – eindrucksvoll zur Geltung. Graun lässt im ersten Satz die Viola wie eine Violine in hoher Tonlage „singen“ und baut in die schnellen Sechzehntelfiguren immer auch „Bass“-Töne ein. Die wunderbar gesangliche Melodie des Adagio un poco andante, die reichlich mit ausgeschriebenen Verzierungen versehen ist und im Basso continuo von zum Teil (für damalige Verhältnisse) kühnen harmonischen Rückungen bestimmt wird, ist ein Paradestück für Violasolisten. Der Schlusssatz im Dreivierteltakt sorgt für einen höchst virtuosen, rhythmisch beschwingten und von wirkungsvollen dramatischen Kontrasten bestimmten Abschluss. Die Besetzung dieses Konzerts beschränkt sich auf Solisten, erste und zweite Violine, Viola und Basso continuo. Damit eröffnen sich viele Aufführungsmöglichkeiten, vom Kammerorchester bis hin zu einem kammermusikalisch besetzten Barockensemble.
Wie auch immer diese Noten aufgeführt werden, sie sollten unbedingt erklingen! Der Herausgeber Philipp Schmidt und der Ortus-Musikverlag stellen ein sorgfältig ediertes und bestens für die Praxis eingerichtetes Notenmaterial zur Verfügung: eine Fassung für Viola und Klavier, eine Partitur und das Stimmmaterial. Im Vorwort wird die Quellenlage dargestellt und im Editionsbericht Rechenschaft darüber abgelegt, wie das Autograf in Notendruck umgesetzt wurde. Die Noten sind übersichtlich und klar gedruckt. Auch ein Faksimile des Autografs wird gezeigt. Man kann sich so ein gutes Bild vom ursprünglichen Notentext machen.
Der musikalische Erfolg einer Aufführung dieses Konzerts hängt – einmal abgesehen von der technischen Beherrschung – von der Artikulation ab. Der Herausgeber übernimmt die Artikulationszeichen des Autografs. Dies ermöglicht heutigen Interpreten, den musikalischen Sinn, die musikalischen Einheiten und den rhythmischen Charakter dieser Musik zu erschließen, ohne dass der Herausgeber eine eigene Interpretation vorschaltet. Eine wichtige Bereicherung des Violarepertoires!
Franzpeter Messmer